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Produktinformationen

In den vergangenen Jahren sind Orte wie Chemnitz, Clausnitz, Heidenau und Freital als Chiffren für fremdenfeindliche Gewalt deutschlandweit und auch international bekannt geworden, ebenso wie bereits zuvor die PEGIDA-Hochburg Dresden. Zu gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz kam es im Sommer 2018 nach einer Auseinandersetzung, bei der ein Deutsch-Kubaner durch Messerstiche tödlich und zwei weitere schwer verletzt worden waren. Rechte und rechtsextreme Gruppen hatten aufgrund von Nachrichten zum Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter zu Demonstrationen aufgerufen. Im Internet wurden Falschinformationen verbreitet, wonach der Getötete eine deutsche Frau vor sexueller Belästigung durch Migranten beschützt habe. In der Folge kam es zu ausländerfeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen, organisierte Rechte und Neonazis griffen tatsächliche oder vermeintliche Migranten, Gegendemonstranten, Polizisten sowie Pressevertreter und unbeteiligte Passanten sowie ein jüdisches Restaurant an. In den folgenden Tagen und Wochen gab es zahlreiche Demonstrationen und Gegenproteste. Mobilisiert hatten die rechtspopulistische Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“, die neonazistischen Parteien NPD, „Der III. Weg“ und „Die Rechte“, ebenso die Kameradschaftsszene, Hooligangruppen, PEGIDA und die Identitäre Bewegung. Der Verfassungsschutz Berlin sprach von einem „offenkundigen Schulterschluss“ von Rechtsextremisten mit der AfD. Zu einer handfesten Regierungskrise wurden die Ereignisse von Chemnitz durch die Causa Hans-Georg Maaßen.

Als erste Vertreterin der Bundesregierung besuchte Familienministerin Franziska Giffey die sächsische Stadt. „Sicherheit heißt nicht nur gute Polizeiarbeit, sondern Sicherheit heißt auch Prävention, heißt Jugendarbeit, heißt politische Bildung, heißt Engagement und heißt Zusammenstehen“. Konkret wolle die Familienministerin deutlich mehr Geld für politische Bildung bereitstellen. Einige Tage später folgte im September 2018 die (erneute) Ankündigung eines Gesetzes zur Förderung der Demokratie. Dieses müsse klar machen: „Es ist auch die Aufgabe des Staates, die demokratische Bildung junger Menschen auf allen Ebenen zu organisieren“. Das Programm „Demokratie leben!“ sei hilfreich, aber man müsse fragen, wie man von Modellprojekten zu einer strukturellen Förderung komme, so Giffey.

Das Programm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des BMFSFJ startete im Januar 2015. Die Fördersumme für das Jahr 2019 beträgt nach signifikantem Aufwuchs insgesamt 115,5 Millionen Euro. Zudem ist ebenfalls seit 2018 das beim BMI angesiedelte und mit 100 Millionen Euro hinterlegte „Nationale Präventionsprogramm gegen islamischen Extremismus“ in Kraft. Im Mai 2018 hatte Giffey angekündigt, „Demokratie leben!“ nach 2019 zu entfristen.

Diese Programme sowie das angekündigte „Demokratiefördergesetz“ führen laut Benedikt Widmaier, dem verantwortlichen Redakteur dieser Ausgabe des JOURNAL, zu einem signifikanten Strukturwandel der non-formalen politischen Bildung in Deutschland und zu einer förderpolitischen Schieflage zwischen den Strukturen der genannten „neuen“ und der „alten politischen Bildung“, der mit den Förderungen der politischen Jugendbildung aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) sowie der politischen Erwachsenenbildung durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) lediglich ca. 20 Millionen Euro zur Verfügung stehen. In dieser Ausgabe des JOURNAL wird der angesprochene Strukturwandel der politischen Bildung in verschiedenen Facetten diskutiert und eingeordnet.

Inhaltsübersicht

Inhalt


MitDenken
4    Sabine Juliana Stockheim
Lach du ruhig!
Was Humor für die politische Bildung leisten
kann und wie man politische Gags schreibt

 

SchwerPunkt
Demokratieförderung vs. politische Bildung?

10    Begriffsvielfalt, Entgrenzung,
Aufmerksamkeitskultur
Kommentare zur neuen Unübersichtlichkeit
auf dem Arbeitsfeld der politischen Bildung


16   Benedikt Widmaier
Demokratieförderung und
politische Bildung
Eine sozialisationstheoretische Perspektive


22    Benno Hafeneger
Politische Bildung ist mehr als Prävention


26    Klaus Waldmann
Kann wertfrei über Demokratie
informiert und diskutiert werden?


32    Thomas Gill, Sabine Achour
„Liebe Teilnehmende, liebe Gefährderinnen
und Gefährder!“
Extremismusprävention als politische Bildung?


38 Annette Molter-Klein, Fabian Müller
Demokratieförderung – Eine Bewährungs-
probe
für politische Bildung im ländlichen
Raum?


44    David Brixius, Andrea Keller
Jugendliche für Politik und Demokratie
begeistern
Innenansicht zu zwei Projekten der
politischen Bildung

 


ZeitZeugen
50 Meron Mendel
Parallelgesellschaft? Eigentlich sollten wir
alle in einer Parallelgesellschaft leben!

MitDenken

4    Zwischen heute-show und „Guerilla-Humor“
Mit politischer Satire kann Gesellschaftskritik einfacher
geäußert werden, berichtet Juliana Stockheim aus ihrer
Veranstaltungsreihe zur Wirkung von Humor in der
Politikvermittlung.

 

SchwerPunkt

10    Die neue Unübersichtlichkeit
Demokratiebildung – Demokratiepädagogik – Demokra-
tielernen? Benedikt Sturzenhecker und Alexander Wohnig
erläutern zum Einstieg in das Heftthema ihre Positionen
zur aktuellen Begriffsvielfalt in der politischen Bildung
und laden zur Diskussion ein.

 

SchwerPunkt

22    Paradoxien der Prävention
„Jugendliche sind keine Risikogruppe, die es mit einem
Präventivprogramm zu behandeln gilt“, stellt Benno
Hafeneger energisch fest. Hierzu muss sich politische
Bildung verhalten, ohne sich instrumentalisieren zu lassen.

SchwerPunkt

26    Politische Bildung und Neutralitätsgebot
Die Frage, was Lehrer/-innen in der Schule oder politische
Bildner/-innen in außerschulischen Kontexten dürfen, ist
aktueller denn je. Was bedeutet es praktisch, das Neutra-
litätsgebot einzuhalten?

 

BildungsPraxis

54    Hambi bleibt!
„Klimapolitik ist mehr als andere Politikbereiche darauf
angewiesen, öffentlich sichtbar zu sein“, berichtet David
Löw Beer vom Institut für transformative Nachhaltigkeits-
forschung. Wie kann politische Bildung hier ansetzen?

 

ÜberGrenzen

72    Ökologische Kinderrechte
Dieses Jahr wird die UN-Kinderrechtskonvention 30 Jahre
und erlebt durch die Fridays For Future eine Rückkehr in
den internationalen Diskurs. Nachhaltigkeit und Ökologie
brauchen mehr Resonanz in der politischen Bildung!

2/2019

 

 

 

BildungsPraxis

54    Susanne Offen
Klima, Kohle, Demokratie? Perspektiven
auf demokratische Prozesse im Kontext
gesellschaftlicher Machtverhältnisse
Ein Interview mit David Löw Beer (Institut für
transformative Nachhaltigkeitsforschung)

 

 

VorGänge

60    Bundeskongress politische Bildung: Emoti-
onen / Das JOURNAL auf der Leipziger Buch-
messe / ver.di: Fakten statt Populismus

 

 

LeseZeichen

66    Europäische Zivilgesellschaft im Wahljahr / Die
neuen Pranger / Was Jugendliche im Ausland
lernen sollen / Begegnungsoffene kommunale
Bildungswelten

 

 

ÜberGrenzen
72    Susanne Braun-Bau
Ökologische Kinderrechte
Von der UN-Kinderrechtskonvention zu den
„Fridays For Future“

 

 

AusBlick
76    Fachstelle: Landkarte politischer Bildung /
Stiftung Mitarbeit: Spaltungen überwinden! /
jbj: 1x1 der digitalen Jugendbeteiligung /
Personen & Organisationen / Veranstaltungen

Autor*innen

Dr. Sabine Achour
ist Professorin für Politikdidaktik und politische Bildung am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Dr. Susanne Braun-Bau
ist ausgebildete Fremdsprachen- und Deutschlehrerin mit Schwerpunkten in den Bereichen Bildung für nachhaltige Entwicklung, Verbraucherbildung, politische Bildung, Jugend- und Sozialpolitik.

David Brixius,
M.A., M.Ed., koordiniert aktuell das Projekt „Empowered by Democracy“ für den AKSB und den Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum (VBLR).

Thomas Gill
ist Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.

Prof. em. Dr. Benno Hafeneger
lehrte und forscht an der Philipps-Universität Marburg zu „Jugend und außerschulischer Jugendbildung“ und ist Mitglied der JOURNAL-Redaktion.

Andrea Keller,
Dr. phil., ist Koordinatorin des Projekts „Religionssensible politische Bildungsarbeit“ bei der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (AKSB). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Philosophie, Ethik, Religionen und politische Bildung.

Dr. Meron Mendel
ist Erziehungswissenschaftler und Historiker. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank – Zentrum für politische Bildung und Beratung Hessen.

Annette Molter-Klein,
M.A., ist kommunale Bildungskoordinatorin für Neuzugewanderte im Saarpfalz-Kreis und betreut u.a. das „Netzwerk ehrenamtliche Flüchtlingshilfe“. Sie ist Mitglied im Begleitausschuss der „Partnerschaft für Demokratie“.

Fabian Müller,
M.Ed.B.A. 1.+2. Staatsexamen, ist pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel. Er betreut dort u.a. die Koordinierungs- und Fachstelle der „Partnerschaft für Demokratie“ des Saarpfalz-Kreises.

Sabine Juliana Stockheim
ist Referentin bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Ihre Masterarbeit zum Thema „Strategien zur Steigerung der Wahlbeteiligung junger Erwachsener“ führte die Politik- und Sozialwissenschaftlerin vor einigen Jahren zur politischen Kommunikation. Dabei lernte sie: Humor spielt eine wachsende Rolle. Die zweiteilige Veranstaltungsreihe zur Wirkung von Humor in der Politik(-vermittlung) ist im Rahmen ihres Volontariats bei der bpb entstanden.

Klaus Waldmann,
Dipl. Pädagoge, war Bundestutor der Ev. Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung und vormals Vorsitzender des bap. Gegenwärtig unterstützt er als Coach und Prozessbegleiter neue Akteure der politischen Bildung und ist Mitglied der JOURNAL-Redaktion.

Benedikt Widmaier
ist Direktor der Akademie „Haus am Maiberg“ in Heppenheim und Mitglied der JOURNAL-Redaktion.