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Produktinformationen

Die Ereignisse um die Studentenproteste des Jahres 1968 werfen ihr Licht und ihre Schatten auch 50 Jahre später noch immer bis in die Gegenwart. Für die einen ist es ein mythologisch aufgeladenes Jahr, der Beginn einer demokratischen Neugründung der Bundesrepublik nach der als restaurativ empfundenen Nachkriegszeit unter Adenauer, für andere der irrsinnige Abgang vom erfolgreichen Weg eben dieser Ära und die Vorgeschichte des Terrorismus.

Der alte 68er-Spruch „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ spiegelt die ambivalente Zeit der Studentenproteste wider; die Studierenden hegten einen fast religiösen Glauben, man könne in der Ära der „Fundamentalliberalisierung“ (Jürgen Habermas) das Paradies auf Erden errichten, verbunden mit der Empörung darüber, dass der Kapitalismus das nicht schafft. Unter dem Panzer der verbauten urban-kapitalistischen Realität ein Stück grüne Wohlfühlutopie – gepaart mit Ironie, Hedonismus und Militanz. Immerhin spielt der Spruch darauf an, dass Straßenpflaster häufig auf einem Sanduntergrund verlegt wird, und Pflastersteine eine beliebte Waffe im Straßenkampf waren und sind. Die französische Version „Sous les pavés, la plage“ ist bei den Pariser Unruhen im Mai 1968 populär geworden.

Rudi Dutschke, der wichtigste Wortführer der deutschen Studentenbewegung, sprach von einer „Vergeudungsgesellschaft“. In einem Interview mit dem Spiegel, das seinerzeit für viel Aufsehen sorgte, sagte er 1967: „Die für profit- und herrschaftsorientierte Gesellschaftsordnungen typischen Konsumtionsexzesse – Kriege sowie die ungeheuren toten Kosten; Rüstung, unnütze Verwaltung und Bürokratie, unausgenutzte Industriekapazitäten, Reklame – bedeuten eine systematische Kapitalvernichtung. Die wiederum macht es unmöglich, den Garten Eden historisch zu verwirklichen.“ Der Garten Eden der Studentenbewegung, der Strand unter dem Pflaster, wurde programmatisch im Namen der Zeitschrift Pflasterstrand (1976-1990), des Sprachrohrs der linken Sponti-Szene in Frankfurt am Main und Vorläuferin des heutigen Stadtmagazins Journal Frankfurt. Daniel Cohn-Bendit war einer der Protagonisten, Joschka Fischer und Claus Leggewie schrieben für Pflasterstrand, ebenso wie Thomas Schmid und Alexander Gauland. Die Revolte hat in Rudi Dutschke sehr früh ihren wichtigsten und charismatischsten Kopf verloren. Im April 1968 wurde das Attentat auf ihn verübt, an dessen Folgen er 1979 gestorben ist. „Die Zeit hat uns geprägt, und wir haben die Zeit geprägt“ – das schreibt Gretchen Dutschke, seine Witwe, im Epilog ihres neuen Buchs „1968 – Worauf wir stolz sein dürfen“. Und sie fährt fort: „Darauf können wir und all die Millionen Menschen in Deutschland, die etwas von dem damals Erreichten verstanden haben und ihr Leben frei, bewusst, auch kritisch gestalten, [...] stolz sein; stolz auf dieses Land – Deutschland.“

Weniger ambivalent als diese kurze episodische Skizze gibt sich die heutige Bewertung von ’68: In den politischen Zielen weitestgehend gescheitert, aber höchst erfolgreich in ihrem Beitrag zu kultureller Liberalisierung, gesellschaftlichem Wertewandel und demokratischer Erziehung und Bildung – und darum geht es in dieser Ausgabe des Journal. Bei der Demokratisierung der Bildung ging es um eine bewusste (Re-)Politisierung der Bildungsarbeit, die im einzelnen Lernsubjekt fundieren sollte (Oskar Negt). Aus dem demokratischen Aufbruch der 68er-Bewegung haben sich in den 1970er Jahren u. a. die Neuen Sozialen Bewegungen entwickelt, beispielsweise die Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegung. Diese Bewegungen hatten in mehrfacher Hinsicht auch einen pädagogischen Impetus: Sie wollten politisches Bewusstsein schaffen, aufrütteln und zur Teilnahme aufrufen. „Unter dem Pflaster ist der Strand“ war das filmische Debüt der Regisseurin Helma Sanders-Brahms aus dem Jahr 1975. Es wurde zu einem zentralen Film der deutschen Frauenbewegung und ’68 im Allgemeinen.

Inhaltsübersicht

Inhalt




MitDenken

4     Hanna-Lena Neuser, Tina Zapf
Wie verändert Digitalisierung die
politische Welt?
Erkenntnisse und Thesen aus dem Denkraum
der Jungen Akademie Frankfurt



SchwerPunkt
1968 und die Folgen

10    Benedikt Widmaier
1968 – Chiffre, Zäsur und Katalysator für
Demokratie und politische Bildung

18    Paul Ciupke
(Zeitweilig) Verbündete
Außerschulische politische Bildung und Protestbewegungen
in den 1960er und 1970er Jahren

24    Hannelore Chiout
1968 und Frauen in der politischen Bildung
Ein exemplarischer und persönlicher Rückblick

32 „Wie kommen wir ins Handeln?“
Zwei Generationen der politischen Bildung im
Gespräch zu 1968



ZeitZeugen

42    Hendrik Harteman
Von der Jugendinitiative zum
Bildungsträger



BildungsPraxis

46     Jette Stockhausen, Alexander Wohnig
Politische Stadtrundgänge zum
Thema „68“

Lernlabor „Klassen-Kämpfe:
Schülerproteste 1968 – 1972“

MitDenken

4    Was wird warum viral?
Kann das Internet – wie einmal unterstellt – die
Demokratie tatsächlich befördern? Neue Formen der
Kommunikation bieten neue Möglichkeiten, nur wo
findet politischer Diskurs im Netz tatsächlich statt?

 

SchwerPunkt

18    Bildung und Protest
Das Feld der Bildung wurde zum wichtigsten Anwen-
dungsgebiet der Ideen der 68er-Bewegung und ihrer
intellektuellen Stichwortgeber, konstatiert Paul Ciupke
in seinem Beitrag. Wie wurde die außerschulische
Bildung zu einer Vorfeldkampfzone der Politik?

 

SchwerPunkt

24    Die Frau, das defizitäre Wesen
Frauen waren im Aufbruch. Wir waren im Aufbruch.
Wir wollten Veränderung und vertrauten darauf, dass
sie gelingen kann, berichtet Hannelore Chiout über ’68.
Wie kam es zur „Angleichung an die Mannesstellung“?

 

 

 

 

BildungsPraxis

46    Stadtrundgang und Lernlabor
Die Rubrik thematisiert Jahrestage als Bildungsgelegen-
heiten, die sich durch die entstehende gesellschaftliche
und mediale Auseinandersetzung ergeben. Und welche
deutsche Stadt war denn nun „Hauptstadt der Revolte“?

 

ÜberGrenzen

68    Europäische Bürgerschaft im Wahljahr
Die Suche nach dem europäischen Citoyen, dem die
Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
eingeschrieben sind, verdeutlicht die zentrale Bedeu-
tung politischer Bildungsarbeit über nationale Grenzen
hinweg.

 

ZeitZeugen

42    Hendrik Harteman
Wie wird aus einer Jugendinitiative ein Bildungsträger,
aus einer zivilgesellschaftlichen Stimme eine Institution,
die mittlerweile maßgeblich die Bildungsarbeit in der
eigenen Stadt und vielleicht darüber hinaus mitgestal-
tet? Hendrik Harteman gibt Antworten!

 



 


VorGänge

54    Mitgliederversammlung des bap / „1968“ als
Bildungsgelegenheit / Antisemitismus und ‘68 /
Runder Tisch der politischen Bildung / Ursula-
Buch-Preis 2018 / „Demokratie leben!“ mit
neuen Schwerpunkten / mehr als wählen –
Initiative für innovative Demokratie

 

LeseZeichen

60    1968 – The whole world was watching /
Grundbildung für Mitsprache und Partizipation
/ Nicht monothematisch, aber monokausal

 

ÜberGrenzen

68    Lena Wach
Auf der Suche nach dem europäischen
Citoyen

 

AusBlick

74    Funkkolleg: Religion Macht Politik / Bundes-
kongress politische Bildung: Emotionen /
Ausschreibung „bap Preis Politische Bildung“ /
DBJR: Positionspapier zum „staatlichen
Neutralitätsgebot“ / Politische Jugendbildung
als Daueraufgabe / Empowered by Democracy
/ Petition: Verteidigung der Republik / Personen
& Organisationen / Veranstaltungen