Soziale Bewegungen – Signatur moderner Gesellschaften

Dieter Rucht: Kollektive Proteste und soziale Bewegungen. Eine Grundlegung. Weinheim (Beltz Juventa) 2023, 240 S., 28€

Soziale Bewegungen gehören „zur Signatur moderner Gesellschaften“ (9), so eine zentrale These in der lesenswerten grundlegenden und orientierenden Studie von Dieter Rucht, die hier rezensiert wird. Alltägliche Erfahrungen und ein kurzer Blick in die jüngere Vergangenheit belegen anschaulich diese These. Fridays for Future und die Letzte Generation als Akteur*innen der Bewegung gegen die Klimakatastrophe, Aktivitäten rechtspopulistischer Gruppierungen wie PEGIDA oder der sogenannten Querdenker, Streiks von Gewerkschaften, Demonstrationen zur Verteidigung der Demokratie, aber auch gegen die Kürzung staatlicher Subventionen oder gegen politische Entscheidungen des Bundes und der Länder, belegen aktuell ein dynamisches und vielfältiges Protestgeschehen. Doch für Rucht ist es wichtig, zwischen sozialen Bewegungen und Protest zu differenzieren, Protest sei ein wesentliches Element von sozialen Bewegungen, „doch nicht jede Protestgruppe ist eine soziale Bewegung“ (9).

Rucht ist überzeugt, dass das Wachstum, die Ausdifferenzierung und die Professionalisierung von kollektivem Protest in den zurückliegenden Jahren einerseits zu zahlreichen wichtigen Studien über die verschiedenen Phänomene geführt und andererseits auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit geführt haben. Demgegenüber will er sich diesem „sehr dynamischen Untersuchungsfeld in seiner Breite“ (9) widmen, denn es bestehe ein „Bedarf an Orientierung und Systematisierung“ (9). Er legt also eine grundlegende und systematische Einführung in die Protest- und Bewegungsforschung vor, die sich z. B. mit den Fragen nach Sinn und Funktion sozialer Bewegungen, nach ihren Entstehungsbedingungen, nach Motiven und der Motivation von Akteur*innen, nach Strukturen der diversen Gruppierungen, nach Dynamiken von Bewegungen und nach ihrem Beitrag zur Gestaltung von Gesellschaft und Politik befasst. Seiner Studie legt Rucht im ersten Kapitel eine Arbeitsdefinition von sozialen Bewegungen zugrunde. Diese charakterisiert er durch vier Merkmale: „(1) ein mobilisiertes Netzwerk von Gruppen und Organisationen, die (2) gestützt auf eine kollektive Identität, (3) grundlegenden sozialen Wandel (4) vor allem mit dem Mittel des kollektiven öffentlichen Protests herbeiführen oder verhindern wollen“ (22). Zwar enthält diese Definition unscharfe Begriffe (mobilisiertes Netzwerk) und sich im Prozess herausbildende oder sich veränderte Begriffe (kollektive Identität). Diese werden aber im Text näher erläutert und es wird plausibel, dass sie für ein dynamischen Geschehen wie Protest und sozialer Bewegung adäquat sind. Um eine historische Perspektive geht es im zweiten Kapitel. Zwar könnten Aktionen protestierender und rebellierender Gruppen zurück bis in die Antike festgestellt werden, von sozialen Bewegungen könne jedoch erst im Gefolge der Aufklärung…

Weiterlesen mit JOURNAL+

Lesen Sie diesen und alle weiteren Beiträge aus dem Journal für politische Bildung im günstigen Abonnement.
Mit Ihrem Abonnement erhalten Sie die vier gedruckten Journal-Ausgaben im Jahr sowie vollen Zugriff auf alle Journal+ Beiträge des Online-Angebots.
Jetzt abonnieren
Sie haben das Journal für politische Bildung bereits abonniert?
Jetzt anmelden

Der Rezensent

Klaus Waldmann, Diplompädagoge, Coach und Prozessbegleiter in Berlin

Ein Beitrag aus

Neu