Im eigenen Interesse
Evaluation als Instrument der Professionalisierung nonformaler politischer Bildung
Das Klima, in dem die prominenten Evaluationen
politischer Jugend- und Erwachsenenbildung (vgl.
Schröder u.a. 2004, Fritz u.a. 2006) entstanden,
war von Debatten um neue Modelle zur Haushaltssteuerung
und „Employability“ als oberstem
Bildungsziel geprägt und an Forderungen nach
Qualitätsmanagement und Wirkungskontrolle
gebunden. Fachpraxis und Wissenschaft kritisierten
scharf, dass auch für politische Bildung ökonomische
Verwertungsperspektiven (und nicht
ihre gesellschaftsverändernden Impulse) postuliert
und Evaluation in einer „Qualitätssicherungseuphorie“
„als vermeintliches Allheilmittel ratloser
Politiker und Funktionäre der Republik verordnet
wurden“ (Ahlheim 2003: 5). Sie beklagten unangemessene
Zielvorgaben, fachfremde Qualitätskriterien
und die Missachtung der Vielfalt von
Einflussfaktoren, sowohl in Bezug auf die Trägerlandschaft
und die Gestaltung von Bildungssettings
(als Input-Qualität) als auch von politischen Bildungssituationen
(als Durchführungsqualität) und
der Heterogenität der Teilnehmenden (mit Einfluss
auf Outcome-Qualität).
Bezogen auf eine evaluative Wirkungsforschung
wurde grundsätzlich darüber gestritten, ob und
welche Wirkungen (Stichwort „Kompetenzen“ vs.
„Bildung“) nonformale politische Bildung hat bzw.
haben sollte. Ahlheim (2003) prägte den Begriff der „vermessenen Bildung“ und Faulstich/Zeuner
(2015: 33) resümierten: „In den immer wieder als
‚modern‘ behaupteten Kategorien verschwindet
und dreht sich der Begriff Bildung bis zur Unkenntlichkeit.
(…) Sinn wird durch Nutzen ersetzt,
Wirtschaftlichkeit geht vor Menschlichkeit. Empirische
Materialen liefern die Legitimation für eine
Indienstnahme der Weiterbildung für politische
Zwecke und ökonomische Interessen“.
Die Skepsis gegenüber Evaluationen, eine Mischung
aus fach-, bildungs- und wissenschaftstheoretischen
sowie politischen Bedenken, traf oft
die ganze Breite empirischer Forschung. Von
heute aus betrachtet, waren wohl auch die Wucht
der vielen ungelösten wissenschaftlichen Herausforderungen
und die mangelnden wissenschaftlichen
Ressourcen der nonformalen Bildung,
Gründe für die Ablehnung. Um einen Überblick
über Vorhandenes zu erhalten und die Debatte zu
versachlichen, wurde 2009 bis 2010 eine Sekundäranalyse
vorhandener empirischer Forschungsergebnisse
zu Wirkungen und Teilnehmenden unternommen,
die damals nicht älter als 10 Jahre waren
(vgl. Becker 2011). Die Studie bestätigte, dass
Auftragsforschung – 25% der damals gesichteten
Studien waren Programm- und Projekt-Evaluationen
im Auftrag von Ministerien und Stiftungen – eine
zentrale Rolle spielte, mit der Untersuchungsinteressen
der Auftraggeber und weniger denen von
Wissenschaft und Praxis gefolgt wurde. Das Ergebnis
war insgesamt ernüchternd:
„Es gibt nur wenige empirische Forschungsarbeiten,
die sich mit der außerschulischen
politischen Bildung beschäftigen (...). Die
Forschung ist zudem in mehrfacher Hinsicht
fragmentiert: Sie erfolgt im Rahmen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen (…)
und dort innerhalb jeweils unterschiedlicher
Teildisziplinen (...). Sie findet im Kontext
verschiedener wissenschaftlicher, praxisbezogener
oder auch politischer Fachdiskurse
statt (...). Alles in allem kann die
empirische Forschungslage zur außerschulischen
politischen Jugend- und Erwachsenenbildung
damit als desolat bezeichnet
werden.“ (Becker 2011: 160 f.)
Auch wenn die Diskussion in Teilen polemisch
geführt wurde, so thematisierte sie doch zentrale
wissenschaftstheoretische und -praktische
Herausforderungen, die weiterzudenken sich
damals wie heute lohnt. Dies gilt auch angesichts
neuer Beunruhigung, die mit dem Forschungsverbundprojekt
„PrEval“ „zur Stärkung von
Evaluation und Qualitätssicherung in der Extremismusprävention,
Demokratieförderung und
politischen Bildung in Deutschland“ einhergeht
(Preval Plattform, vgl. dazu auch den Beitrag von
Johannson/Junk in diesem Heft). Auch in diesem
Zusammenhang wird thematisiert, dass an politische
Bildung andere Kriterien als z. B. an Präventionsarbeit
angelegt werden sollten. Dies
wäre ein aktueller Grund, über eigene, alternative
Evaluationsvorgaben nachzudenken. Nicht
zuletzt das genuin fachliche Interesse an Aufklärung
über die Praxis politischer Bildung sollte
dazu führen, das Thema aktiv voranzutreiben
und es sich nicht durch eine weitere politische
Konjunktur neuerlich aus der Hand nehmen zu
lassen. Dennoch fehlt bis heute ein wissenschaftlicher
Diskurs, in dem eigene, alternative Ansätze
den kritisierten Evaluationsdesigns gegenübergestellt
werden.
Eigeninteresse an Evaluationen
In der aktuellen Diskussion um gesellschaftspolitische
Herausforderungen gerät die politische
Bildung erneut unter Rechtfertigungsdruck. Dieser
entspringt nun allerdings keinen fachfremden
Forderungen, sondern betrifft das eigene Selbstverständnis.
Fragen wie die, was politische Bildung
gegen den Verlust des Vertrauens in die Demokratie
und die Verunsicherung durch gesellschaftliche
Transformation tun kann, mit welchen
Konzepten sie auf die sich weiter ausdifferenzierenden
Interessen in der Bevölkerung antworten
will und was ihre Qualitäten und „Alleinstellungsmerkmale“
ausmacht, sind berechtigte Fragen an
die Profession. Denn die Ausdifferenzierung der nonformalen
politischen Bildung (vgl. Transfer für Bildung,
Topografie der Praxis politischer Bildung), die
auch ein Spiegel der Ausdifferenzierung von
Lebenswirklichkeiten in der Gesellschaft ist, sowie
Konzepte von Prävention und Empowerment,
verlangen neue Debatten um fachliche Standards,
für die Begründungen durch Theoriebildung und
erfahrungsbasierte Erkenntnisse nicht ausreichen.
Insbesondere nonformale politische Bildung mit
ihren unterschiedlichen Praxisfeldern sollte ein
Interesse an der wissenschaftlichen Aufklärung
über ihre Bedingungen, Qualitäten und Wirkungen
haben. Erkenntnisse aus der formalen politischen
Bildung sind dafür nur sehr begrenzt
übertragbar.
Hier geht es um ein Eigeninteresse politischer
Bildung. Denn der Mangel an wissenschaftlich
fundierten empirischen Wissensbeständen bzw.
der Mangel an Wahrnehmbarkeit vorhandenen
Wissens schwächt die Profession bzw. die Qualität
der politischen Bildungspraxis.
Von Profession und Professionalität kann erst
dann gesprochen werden, wenn eine Gesamtheit
des (wissenschaftlich fundierten) theoretischen,
empirischen, praktischen Know-hows des thematischen
Bereichs (Wissensbereich) und die Gesamtheit
der Praxis (Tätigkeitsfeld) identifiziert werden
können, und auf dieser Grundlage, die in dem
Bereich Tätigen ein grundlegendes Qualitätsverständnis
und bestimmte Werte teilen (vgl. Keiner
2010 bei Becker 2013: 50).
Wo aber gemeinsame Wissensbestände, auch
bezogen auf verschiedene Tätigkeitsfelder, Aktivitäten
und Wirkungen, nicht identifiziert und wissenschaftlich abgesichert werden (können),
wird „politische Bildung“ nicht als Profession (an)
erkannt. Und umgekehrt: Wo „die Profession“
nicht oder nur unscharf wahrnehmbar ist, gilt
dies auch für ihre Wissensbestände, Tätigkeitsfelder,
Aktivitäten und Wirkungen. Ohne dass
politische Bildung eigene Erkenntnisse über ihre
möglichen Qualitäten und entsprechende Kriterien
zur Verfügung stellen kann, stellen Evaluationen,
also die systematische Untersuchung und
Bewertung des Nutzens und/oder Güte der
Praxis, immer das potenzielle Risiko dar, Kriterien
heranzuziehen, die entweder nicht fachlich begründet
sind und/oder einer Verwaltungslogik
folgen.
Breitere Beforschung der Praxis
Für Alternativen, d. h. angemessene Evaluationsdesigns
und -kriterien, muss die politische Bildung
selbst sorgen. Um aber zu adäquaten Merkmalen
guter Praxis zu kommen, benötigt man eine
breitere Beforschung der Praxis. Nur dann kommt
man zu Kriterien, die nicht allein theoretisch abgeleitet
oder politisch normativ gesetzt sind,
sondern sich an der realen Umsetzbarkeit orientieren
und Erwartungen anhand real feststellbarer
Wirkungen korrigieren können. Mit anderen
Worten: Erst aus Erkenntnissen von Feldforschung,
statistischen Erhebungen und Wirkungsforschung
lassen sich angemessene Evaluationsdesigns
und -kriterien generieren.
Diese sind die Voraussetzung dafür, Aussagen
darüber machen zu können,
- wie das Feld bzw. die Felder politischer Bildung definiert und wissenschaftlich beschrieben werden können,
- was von politischer Bildung erwartet wird (von Teilnehmenden, von politischer Bildung selbst, von Politik),
- welche Bildungsarrangements und welche Wirkungen realistisch möglich sind,
- von welchen Bedingungen Bildungsarrangements, deren Nutzung und Effekte abhängig sind.
Zusätzlich braucht politische Bildung eine
Debatte über ihr angemessene Forschungsfragen,
-designs und -methoden. Dabei muss auch darüber
nachgedacht werden, wie man der Vielfalt
an professionellem Know-how, Settings, Konzepten
und Methoden der nonformalen politischen
Bildung gerecht werden kann. Spezifische
Konzepte bedingen spezifische Settings und
umgekehrt spezifische Ziele lassen spezifische
Wirkungen erwarten. Hier muss auch die Skepsis
berücksichtigt werden, multifaktorielle, nicht
standardisierte Bildungsprozesse rekonstruieren
und bewerten zu können und die Sorge, aufgrund
mangelnder Reproduzierbarkeit keine Reliabilität
und Validität, Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit
erreichen zu können. Was also kann politische
Bildung tun?
Was haben wir schon?
Auch angesichts dieser Mangelanzeige fängt die
nonformale politische Bildung nicht von vorn an.
Bisher gibt es wenig Feldforschung, jedoch einzelne
Statistiken und (vor)wissenschaftliche Datensammlungen,
die z. B. bei Einzelträgern (z. B. im
Rahmen von Qualitätsmanagementsystemen und
Berichtspflichten) vorliegen (vgl. dazu den Beitrag
von Brokmeier in diesem Heft). Darüber hinaus
liegen Erfahrungen und Überlegungen vor, wie
man mittels dieser Instrumente politische Bildung
(besser) darstellen kann (vgl. Becker 2021). Voraussichtlich
wird die „Studie zu einer indikatorengestützten
Berichterstattung zur politischen Bildung
in Deutschland“, dessen Beitrag zum „Sektor
außerschulische politische Bildung“ an der Universität
Göttingen entsteht, Material, Probleme
und Leerstellen identifizieren.
Es lohnt sich, vorhandene Forschungen zur
politischen Bildung zu analysieren und Bewährtes
und Mögliches herauszuarbeiten. Neben Studien zur nonformalen politischen Bildung sind hier auch
Forschungen zur formalen politischen Bildung
einzubeziehen. Meta-Diskussionen zu der Frage,
wie nonformale Bildung evaluiert werden kann,
und ob und in welcher Art ihre „Wirkungen“
wissenschaftlich feststellbar sind, werden für
andere Bereiche nonformaler Jugend- und Erwachsenenbildung
bereits länger geführt (vgl.
Liebig 2020 oder Becker 2020). Hier könnte man
anknüpfen.
Die Fachstelle politische Bildung (https://transfer-politische-bildung.de) wird im laufenden Jahr
einen Schwerpunkt auf das Thema Feldforschung,
Wirkungsforschung und Evaluationen legen. Interessierte
sind herzlich zu Austausch und Zusammenarbeit
eingeladen.
Literatur
Ahlheim, Klaus (2003): Vermessene Bildung? Wirkungsforschung
in der politischen Erwachsenenbildung.
Schwalbach/Ts.
Becker, Helle (2011): Praxisforschung nutzen, politische
Bildung weiterentwickeln. Studie zur Gewinnung und
Nutzbarmachung von empirischen Erkenntnissen für
die politische Bildung in Deutschland, Hg. v. Arbeitskreis
deutscher Bildungsstätten für den Bundesausschuss
Politische Bildung. Berlin.
Becker, Helle (2013): Wir Kellerkinder? Zur Geschichte
der „Profession politische Bildung“ in der außerschulischen
Jugend- und Erwachsenenbildung. In: Klaus-Peter
Hufer/Dagmar Richter (Hg.): Politische Bildung als
Profession. Verständnisse und Forschungen. Perspektiven
politischer Bildung. Bonn, S. 49–63.
Becker, Helle (2020): Systemische Wirkungen der
Internationalen Jugendarbeit / des Internationalen
Jugendaustauschs. Expertise und Literaturstudie im
Rahmen des Projekts „Systemische Wirkungen der
Internationalen Jugendarbeit“ des Netzwerks
Forschung und Praxis im Dialog. Köln.
Becker, Helle (2021): Berichtswesen und Gütesiegel in
der politischen Erwachsenenbildung. Expertise für die
Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke
in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (AKSB e.V.) im
Rahmen des Projekts „Mehrwert Verantwortung –
Politische Erwachsenenbildung in neuen Formaten“.
Bonn.
Faulstich, Peter/Zeuner, Christine (2015): Ökonomisierung
und Politisierung des Feldes der Erwachsenenbildung:
Die Rolle der Wissenschaft. In: Erziehungswissenschaft,
Heft 50, S. 25–35.
Fritz, Karsten u. a. (2006): Politische Erwachsenenbildung.
Trendbericht zur empirischen Wirklichkeit der
politischen Bildungsarbeit in Deutschland. Weinheim.
Liebig, Reinhard u. a. (2020): Wirkungen der Kinderund
Jugendarbeit. Sekundäranalyse zum Stand der
Forschung der letzten zehn Jahre. Düsseldorf.
Schröder, Achim u. a. (2004): Politische Jugendbildung
auf dem Prüfstand: Ergebnisse einer bundesweiten
Evaluation. Weinheim.
Die Autorin
Dr.in Helle Becker ist Geschäftsführerin von
Transfer für Bildung e.V. und wiss. Leitung
Expertise und Kommunikation für Bildung
sowie Lehrbeauftragte. Arbeitsschwerpunkte
sind politische, internationale und kulturelle
Bildung, Forschung sowie Wissenstransfer.