Globale politische Bildung (in) der Utopie

Utopien als Gegenentwurf zu krisenhaften gesellschaftlichen Verhältnissen sind immer eingebettet in Herrschaftsstrukturen – verbunden mit spezifischen Interessen. Das ‚Wir‘ in Utopien kann es daher allgemein nicht geben. Wozu ist sie also da, die Utopie? Und welche Funktionen hat sie? Utopien können Bildungspraxen Perspektiven und Alternativen anbieten, die jedoch immer mit einer offenen, suchenden und (hinter-)fragenden Auseinandersetzung in Verbindung stehen sollten. 

Gesellschaftliche Konfliktlagen spiegeln sich in Zielen, Inhalten und didaktischen Konzepten von (politischer) Bildung wider. Ansätze des Globalen Lernen und der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind beispielweise als Reaktion auf globale ökologische, friedenspolitische und ökonomische Krisen entstanden. Häufig soll hierbei nicht nur ein Verständnis für aktuelle Krisen und „epochaltypische Schlüsselprobleme“ gefördert werden, sondern durch und mit Bildung auch zur Lösung globaler gesellschaftlicher Problemstellungen und Herausforderungen beigetragen werden. Das neue Programm BNE 2030 stellt Bildung sogar in den Mittelpunkt der Agenda 2030 und schreibt ihm eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) zu (vgl. German Commission for UNESCO and UNESCO 2021). In Bildungskontexten soll entsprechend auf vielfache globale Krisendiagnosen – auch als multiple Krisen (vgl. Bader et al. 2011) bezeichnet – reagiert werden, die als Klima-, Wirtschafts- und Finanz(-markt)-, Migrations- sowie Demokratiekrise adressiert werden. Von Bedeutung diesbezüglich ist, dass Globales Lernen und BNE durch unterschiedliche historische Entstehungsgeschichten geprägt sind. Globales Lernen ist aus zivilgesellschaftlichen, bewegungsnahen Zusammenhängen entstanden und BNE als Bildungsprogramm durch staatliche Akteure etabliert worden. Durch die zunehmende institutionelle Verankerung der Ansätze und deren oft synonyme Verwendung – wie auch in diesem Artikel – treten Unterschiede in den Hintergrund. Damit Globales Lernen und BNE hinsichtlich der genannten multiplen Krise und deren Bearbeitung nicht individualisierten Moralisierungen verhaftet bleiben, muss eine Repolitisierung globaler (sozialer) Verhältnisse stattfinden. Und dafür müssen soziale Konflikte über und für sozial-ökologische Transformation und Utopie im Globalen Lernen und BNE eröffnet werden. Nur durch eine Repolitisierung können abstrakte Normen wie Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit mit nicht-nachhaltigen gesellschaftlichen Strukturen, Spannungsverhältnissen und spezifischen Herrschaftsinteressen konfrontiert werden (vgl. Inkermann/Eis 2022: 33). 

Zugleich muss sich die Repolitisierung auch auf die Entstehungszusammenhänge von Globalem Lernen und BNE beziehen, um die Verwobenheit mit bestehenden Herrschaftsstrukturen zu berücksichtigen und die Heterogenität von Bildungsakteuren und -praxen im Kontext Globales Lernen und BNE sichtbar zu…

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Die Autorin

Nilda Inkermann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel am Fachgebiet Didaktik der politischen Bildung und hat zu Globalem Lernen und sozial-ökologischer Transformation promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind kritische-emanzipatorische politische Bildung im Kontext der imperialen Lebens- und Produktionsweise und sozial-ökologische Transformation als Bildungsaufgabe. Sie ist außerdem Mitglied des I.L.A. Kollektivs und des Forums kritische politische Bildung.

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