Evaluation: Zwischen Rationalisierung und Aufklärung
Evaluation scheint mittlerweile unhinterfragt das Instrument zu
sein, um im pädagogischen Bereich Transparenz über die Wirkung
von Präventionsmaßnahmen herzustellen. Seit den 1990er Jahren ist
sie das Mittel der Wahl, um die Wirkung von Bildungsmaßnahmen
und Lernständen zu kontrollieren und zu messen. Vernachlässigt
wird, dass Evaluation nicht immer selbstverständlich war, sondern
historisch gesehen von der Politik als umfassendes Rationalisierungsinstrument
genutzt wurde. Wer
genauer hinschaut, erkennt,
dass Evaluation dabei immer auch von normativen Vorstellungen,
politischen
Erwartungen und Interessen abhängig ist.
Grundsätzlich kann der Vorgang des Evaluierens
als eine Praxis des Unterscheidens betrachtet
werden, bei der die Welt ständig nach bestimmten
Differenzen bewertet wird: gut versus schlecht,
effizient versus ineffizient, negativ versus positiv,
vorteilhaft versus nachteilhaft, leistungsstark versus
leistungsschwach usw. Auch wenn zumeist
nur die eine Seite der Unterscheidung sichtbar
wird, so läuft die andere Seite immer mit.
Normative Wertsetzungen und deskriptive oder
funktionale Kriterien greifen hierbei untrennbar
ineinander: ‚Ineffizienz‘ korreliert mit ‚defizitär‘
und Effizienzvorstellungen werden positiv mit dem
kostengünstigsten Erreichen eines Ziels assoziiert,
wobei andere möglicherweise relevante qualitative
Merkmale außen vorbleiben.
Evaluationen beinhalten daher Problem- und
Defizitzuschreibungen oder Konnotationen wie
Erfolg. Evaluative Prozesse – ob alltäglich oder
wissenschaftlich-systematisch – sind damit stets
selektiv und zugleich immer Zuschreibungen und
Setzungen, die von einer bestimmten Beobachterposition
aus vorgenommen werden. Diese ist nicht
letztbegründbar, kontingent und damit ein blinder
Fleck jeder Beobachtung ist.
Der Aufstieg des modernen
Evaluationsdiskurses
Historisch lassen sich drei Phasen der Entwicklung
des Evaluationsdiskurses unterscheiden, in denen
das moderne Evaluationsverständnis geprägt
wurde, bei der die Wirksamkeit einer Handlung
bzw. Intervention oder Leistung (Output) bewertet
werden:
Erste Phase
Der erste Impuls für den modernen Evaluationsdiskurs
kam aus der Ökonomie im Kontext der
Industrialisierung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.
Mit Taylorismus und dem Scientific
Management war das Ziel verbunden, systematisch
die Effizienz von Arbeit und Produktion zu steigern.
Aufgrund systematischer Beobachtung und durch
die Zerlegung der Produktion in einzelne (kleinste
Teil-)Tätigkeiten sollte durch Standardisierung eine
umfassende Rationalisierung jedweder Arbeitsleistung
und Produktion (= Output) erreicht werden.
Eine zweite Quelle bildete zeitgleich die
Psychologie mit der Entwicklung quantitativer
Mess- und Testtechnologien (Intelligenztests), die
auch auf die entstehende empirische Pädagogik
großen Einfluss hatte. Hervorzuheben ist,…
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Der Autor
Thomas Höhne ist Professor für allgemeine
Erziehungswissenschaft an der Helmut Schmidt
Universität (Hamburg). Schwerpunkte sind
politische, rechtliche und gesellschaftlichen
Bedingungen von Bildung und Erziehung.