„Es kann davon ausgegangen werden, dass eine nachhaltige Gehirnwäsche nicht gelang“
„Der Bogensee ist ein mythischer Ort, eine gute Autostunde außerhalb Berlins mitten im Wald gelegen.“ Mit diesen beinahe märchenhaft klingenden Worten beginnt der Kopenhagener Historiker Detlef Siegfried seine Studie über die frühere FDJ-Jugendhochschule Wilhelm Pieck. Die baulichen Bestandteile des heute nicht mehr genutzten Areals liegen in einem wald- und seenreichen Gebiet nördlich von Bernau in Brandenburg.
Bogensee ist ein Ort mit einer nicht nur mythischen Vergangenheit, wenn man all das Geraune um ihn versucht einzuordnen, sondern der Kreuzungspunkt einer mehrfachen Geschichte, die einen wichtigen Teil – auch wenn manche diese Episode aus normativen Gründen gern exkludieren würden – der außerschulischen politischen Bildung darstellt.
Der sogenannte Waldhof, ein idyllisch gelegenes, seinerzeit luxuriöses Landhaus im Art-Deco-Stil, wurde auf Veranlassung von Joseph Goebbels Ende der 1930er Jahre errichtet, der hier zunächst seinen Zweitwohnsitz hatte, Filme sichtete, Geliebte empfing, aber mit zunehmender Kriegsdauer auch seine Familie dorthin holte. Ab 1946 nutzte die FDJ das Gebäude, und in den folgenden Jahren wurden nebenan eine Reihe von Großgebäuden zunächst im Stile des stalinistischen Klassizismus errichtet, die der Unterbringung, der Schulung, aber auch für Freizeit und Kulturanliegen dienten. Die Symmetrie ihrer Anordnung und das Gefälle ergeben in der Mitte einen Kundgebungs- und Aufmarschplatz. Ein Stück Herrschaftsarchitektur, das seiner in der Geschichte zahlreichen Bewohnerschaft aber auch ein Gefühl der Besonderheit, ja der Erhabenheit vermitteln konnte, wie es – das ist nun ein sehr weites Spektrum – z. B. die Burgen der Jugendbewegung, aber auch die Ordensburgen des Nationalsozialismus tun sollten. Zunächst erfüllte die Jugendhochschule den Zweck, junge politische Kader auszubilden, ab Ende der 1950er Jahre gab es auch einen internationalen Zweig. Kommunist*innen bzw. solche, die sich damals dafür hielten, kamen aus allen Erdteilen zu länger dauernden Lehrgängen. Die Welt traf sich im Wald bei Berlin. Nach 1990 gab es den Versuch vom Internationalen Bund, in den Gebäuden ein Tagungszentrum einzurichten. Aber das Projekt war wegen seiner Größe und Lage materiell und finanziell nicht beherrschbar. Seit 2000 verfällt das riesige Ensemble.
Die Untersuchung konzentriert sich auf das internationale Geschäft und weist einen doppelten Boden auf. Als Historiker hält sich Detlef Siegfried selbstverständlich an verfügbare Quellen und von diesen hat er nicht wenige Sorten genutzt: Zeitzeugenberichte und Interviews, Filme, Fotos, schriftliche Dokumente aus den Archiven und – das ist der Clou bzw. der zweite Unterboden – sich selbst. Siegfried hat 1983/84 als Mitglied der SDAJ einen Jahreslehrgang in Bogensee absolviert, sogar als westdeutscher Delegationsleiter, was darauf verweist, dass der Autor nicht zum politischen Fußvolk gehörte.…
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Der Rezensent
Dr. Paul Ciupke war lange Jahre in der
politischen Jugend- und Erwachsenenbildung tätig.