Die Zukunft der Demokratie in der Krise


Die Demokratie befindet sich gegenwärtig in einer höchst komplizierten Phase und muss sich erneuern, ohne dabei ihre Identität zu verlieren. Es ist schwierig, mit aktuellen Problemen umzugehen: Welche Prozesse, die derzeit Unzufriedenheit mit der Demokratie schüren, sind auf ihre widersprüchlichen Prinzipien zurückzuführen und sollten deshalb nicht nur akzeptiert, sondern möglicherweise sogar verstärkt werden? Welche der zu beobachtenden demokratischen Strukturdefekte weisen hingegen auf faktische Schieflagen hin, die künftig besser austariert werden sollten als in der Vergangenheit?

Die liberale Demokratie hat gewiss schon bessere Tage erlebt: Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes galt die Idee des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates westlicher Prägung sogar als derart konkurrenzlos, dass Francis Fukuyama in seinem Buch Das Ende der Geschichte (1992) die endgültige Klärung der politischen Systemfrage verkündete: Erwartet wurde damals, dass die liberale Demokratie nun, da ihr die Gegner abhandengekommen schienen, einen globalen Siegeszug antritt. Tatsächlich muss man heute lange suchen, um ein Regime zu entdecken, welches das Legitimitätsversprechen der Demokratie nicht für sich reklamiert wie etwa der Vatikan oder Saudi-Arabien. Doch sind es zunehmend illiberale, nationalistische, anti-individualistische und anti-pluralistische Formen oder besser: Instrumentalisierungen der Demokratie in Richtung Autoritarismus oder Totalitarismus, die sich von westlichen Rechts- und Freiheitsvorstellungen (selbst-)bewusst abgrenzen (Diamond 2015; Keane 2020). Nicht wenige vermuten in letzteren sogar ein Modell mit historischem Verfallsdatum, das den sozioökonomischen, ökologischen, demografischen, sicherheits- und migrationspolitischen Herausforderungen der Gegenwart nicht gewachsen ist.

Die (paradoxe) Demokratie in der Dauerkrise

Indes hat nicht allein der Aufstieg illiberaler Demokratien das Vertrauen in demokratische Institutionen in Europa und Nordamerika massiv erschüttert. Bevorzugt sind es stattdessen die inneren Strukturdefekte der Demokratie, die in den westlichen Gesellschaften ein nahezu permanentes Krisengefühl hervorrufen. Mehrere Zeitdiagnosen nehmen entsprechend systemimmanente Faktoren wie die Schwerfälligkeit in der Entscheidungsfindung, Ineffizienz und fehlende Problemlösekapazität, eine extreme Spaltung der Gesellschaft sowie die fundamentale Entfremdung zwischen Bevölkerung und politischen Eliten zum Anlass, um einen Abgesang auf die repräsentative Demokratie anzustimmen (z. B. Mounk 2018; Levitsky/Ziblatt 2018; Runciman 2018). Das Vertrackte daran ist, dass die dort behandelten Bedrohungen nicht durch dysfunktionale demokratische Strukturen zustande kommen. Im Gegenteil, sie zeigen das autoimmune ,Funktionieren‘ der Volksherrschaft an. So wie etwa periodische Wahlen und wechselnde Mehrheiten die…

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Die Autor*innen

Prof. Dr. Oliver Hidalgo ist Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie an der Universität Passau. Seine zentralen Forschungsgebiete sind Politische Ideengeschichte, Demokratie­theorie und das Verhältnis von Politik und Religion.

Linda Fränken studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation.

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