„Wenn Demokratien sterben“ – Bestandsaufnahme einer bedrohten Staatsform

Wie steht es um die Demokratien in Deutschland, in den USA und in Transformationsländern wie Tunesien? Sind sie in ihrem Bestand durch Aushöhlung ihrer Funktionsmechanismen, globale Herausforderungen oder autoritäre Versuchungen bedroht? Erfahrungen aus der internationalen Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung machen deutlich, welche Antworten politische Bildung auf diese Fragen geben kann.

Aushöhlung der Demokratie: Befunde aus Deutschland
Der Titel des Seminars, das wir im Februar 2023 im GSI durchführen, spitzt die aktuellen Herausforderungen zu: „Wenn Demokratien sterben.“ Ausgangspunkt ist die Frage, was in Deutschland die Zweifel an der Demokratie genährt hat. Drei Antworten erarbeitet der Referent mit den Teilnehmenden: 1. Die Eurokrise und die Rettung Griechenlands. Hier werde deutlich, dass Angela Merkel zwar auf der Basis internationaler Vereinbarungen gehandelt habe, aber die Legitimation ihres Vorgehens dennoch von einer breiten Öffentlichkeit angezweifelt worden sei. 2. Das Bekenntnis zu offenen Grenzen und die Migrationssituation 2015/16, von vielen als „Flüchtlingskrise“ etikettiert, habe die Gesellschaft massiv gespalten. 3. Auch der Krieg in der Ukraine habe, zumindest im Anfangsstadium, für eine erhebliche Polarisierung gesorgt. 

Jedes dieser Themen sei von Rechts­populist*innen zur antidemokratischen Stimmungsmache genutzt worden. Und darin liege die eigentliche Gefahr: dass vorhandener Konsens aufgelöst, politische Kultur vergiftet und Gesellschaft polarisiert werde. 

Auch wenn sie den Zusammenhang zwischen Bedrohung der Demokratie und rechtspopulistischen Einflüssen ähnlich bewerten, stimmen in der Diskussion nicht alle zu. Einige sehen in der Eurokrise ein Zeichen des erreichten europäischen Zusammenhalts; und hat die Zuwanderung nicht auch sehr viel Solidarität hervorgebracht? Und der Krieg in der Ukraine? Auch da sehen einige die Chance, dass er die westliche Wertegemeinschaft und damit die Demokratie stärke, trotz aller Kontroversen. 

Zwei weitere Destabilisierungsfaktoren kommen im Folgenden zur Sprache. Das Krisenmanagement während der Pandemie hat für viele zu einer Machtverschiebung von der Legislative auf die Exekutive geführt, die sie nicht gutheißen. Und der Einfluss der Sozialen Medien, so der Referent, die von Algorithmen bestimmte Auswahl von Informationen, die Möglichkeit massiver Manipulation und demokratischen Kontrollverlusts stellten eine erhebliche Bedrohung für die Demokratie dar. 

Der Verlust der demokratischen Mitte
Im fachlichen Diskurs werden die Herausforderungen für die Demokratie in ähnlicher Weise wie im Seminar aufgearbeitet. Studien belegen bereits im Jahr 2019, dass über die Hälfte der Deutschen unzufrieden mit der Demokratie in ihrem Land sind. Aktuellste Umfragen zeigen, dass sich diese Tendenz verstärkt (vgl. Best u. a. 2023,…

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Der Autor

Martin Kaiser ist Leiter des Gustav Stresemann Instituts in Niedersachsen e. V. (GSI). Seit 1996 arbeitet er mit unterschiedlichen Partner­- organisationen in den USA zusammen, darunter die Arab American Community und das Office of Multicultural Affairs in Philadelphia. Seit über 20 Jahren führt er Projekte zu Partizipation und zivilgesellschaftlichem Engagement mit Partner­- organisationen in arabischen Ländern durch. 2007–2021 war er Mitglied im AdB-Vorstand. martin.kaiser@gsi-bevensen.de

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