Politische Bildung – Pfeiler der Wehrhaften Demokratie

Dominik Feldmann: Demokratie trotz(t) Antiextremismus? Zur Bedeutung von Extremismusprävention für (Ent-) Demokratisierung und politische Bildung, Frankfurt (Wochenschau Verlag) 2023, 368 S., 43,90 € 

Mit seiner Dissertation greift Dominik Feldmann ein wichtiges Thema auf, das die aktuellen und wahrscheinlich auch zukünftigen Debatten in der politischen Bildung bestimmt: Die Extremismusprävention. Er weist minutiös nach, wie Antiextremismus und Extremismusprävention die Geschichte der politischen Bildung nach 1945 und der Bundesrepublik allgemein maßgeblich mitgeprägt haben. Sein normatives Selbstverständnis wird dabei von einer „kritischen Demokratiebildung“ (239 ff.) und einer „kritischen politischen Bildung“ (292 ff.) geleitet. Seine wichtigsten Kronzeugen sind häufig bekannte linke Theoretiker und Politikwissenschaftler, etwa Wolfgang Abendroth, Antonio Gramsci oder Joachim Hirsch. Diese linke Inspiration, plakativ auch als „materialistisch bzw. marxistisch inspirierte Staatstheorie“ (140) beschrieben, bestimmt maßgeblich seine Themenwahl, aber auch sein politisches Urteil. Damit ist der rote Faden der Forschungsarbeit vorprogrammiert, die zeigen soll, dass sich die antiextremistische hegemoniale Staatsräson in der Bundesrepublik vor allem gegen die politische Linke richtete. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zur demokratietheoretischen und bildungspolitischen Zeitgeschichtsforschung über politische Bildung.

Das „Extremismuskonzept [sei] nicht darauf ausgelegt, nach Erklärungen für bestehende gesellschaftliche Probleme zu suchen“ (14) und könne infolgedessen in der politischen Bildung nur affirmativ wirken. Politische Bildung hätte damit die Aufgabe den Status Quo zu bewahren und nicht kritisch diskursiv die (Weiter-)Entwicklung von Demokratie anzuregen. Das somit angespannte Verhältnis zwischen Demokratie und Extremismus ist der auch titelgebende Kern von Feldmanns Überlegungen: Ist Extremismus, wie es die vergleichende Extremismustheorie und die Extremismusforschung besagen, das Gegenteil von Demokratie? Oder ist nicht der „Antiextremismus“ ein störender Gegensatz zu Demokratie? Denn „mit dem Antiextremismus [werden] politische Bestrebungen teils willkürlich als ‚extremistisch‘ klassifiziert und damit im politischen Diskurs diskreditiert.“ Die Demokratie in Deutschland habe sich also nicht wegen, sondern trotz einer antiextremistischen Sicherheitspolitik und politischen Bildung entwickelt und stabilisiert (15). Die Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus waren in Deutschland klar durch einen antifaschistischen Konsens der Besatzungsmächte bestimmt. Aufgrund der unterschiedlichen politischen Entwicklung wurde die weitere Geschichte in den westlichen Zonen dann jedoch zunehmend durch eine antikommunistische Grundstimmung überlagert, die sich nach Feldmann bis heute erhalten hat. Die antitotalitäre Strategie war eng verbunden mit einer Theorie „Wehrhafter Demokratie“ und hat in der Verfassung der Bundesrepublik vor allem in Art. 21, mit dem möglichen Verbot von Parteien die gegen die „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (fdGO) verstoßen, deutliche Spuren hinterlassen (49 ff.).

Die totalitarismustheoretische Fundierung spiegelt sich auch in den beiden Parteiverbotsverfahren der 1950er-Jahre gegen eine rechte (Sozialistische Reichspartei/ SRP) und eine linke Partei (KPD) wider. Erst in diesen Verfahren wurde der im Grundgesetz unbestimmte Inhalt einer „fdGO“ vom Bundesverfassungsgericht definiert. An dieser Definition orientieren sich bis heute die wehrhafte innere Sicherheitspolitik und der Verfassungsschutz, obwohl sich die Demokratie in Deutschland weiterentwickelt hat. In Anlehnung an Wolfgang Wippermann wird die Totalitarismustheorie von Feldmann deshalb als bundesrepublikanische „Staatsideologie“ bezeichnet (49). Tatsächlich hat diese Ideologie schnell Spuren in den Strukturen und Zielbeschreibungen der politischen Bildung hinterlassen. Der Bundeszentrale für Heimatdienst (heute für politische Bildung) wurde 1952 ein erzieherischer „positiver Verfassungsschutz“ als Aufgabe ins Stammbuch geschrieben (109). Und als die politische Bildung dann zunehmend Einzug als eigenständiges Fach in der Schule hielt, hieß es 1962 von Seiten der Kultusministerkonferenz: „kommunistische[r] und nationalsozialistische[r] Totalitarismus sind in ihrer verwerflichen Zielsetzung und ihren verbrecherischen Methoden deutlich zu machen“ (110). Dass (bis) heute in den Lehrplänen aller Bundesländern extremismuspräventive Bezüge hergestellt werden, arbeitet Feldmann in einem eigenen Kapitel detailliert heraus (244–276). Später wurde „Totalitarismus“ durch den Begriff des „Extremismus“ abgelöst, vor allem mit Rücksicht auf die Befindlichkeit der im Zuge der Neuen Ostpolitik umworbenen sozialistischen Länder. Allerdings war die „vergleichende Extremismusforschung“, die sich als Disziplin der Politikwissenschaft in den 1980er-Jahren etablierte, wie die Totalitarismustheorie auf den Vergleich als Methode angelegt. Es ging ihr darum, „Gemeinsamkeiten und Spezifika verschiedener ‚extremistischer‘ Ausprägungen sichtbar zu machen.“ (91) Im Rahmen dieser vergleichenden Extremismusforschung entstand auch die heute sehr umstrittene „Hufeisentheorie“, mit der bildlich deutlich gemacht werden soll, dass die politischen Extreme sich an den Rändern des Hufeisens (inhaltlich) sehr nahe (ge)kommen/sind (73).

Feldmann beschreibt in zwei integrierten Feldstudien, wie sich dieses antiextremistische Narrativ einer Wehrhaften Demokratie auf politische Bildung ausgewirkt hat. Der sogenannte Radikalenerlass von 1972 war im Grunde, ähnlich wie der Wechsel von der Totalitarismus- zur Extremismustheorie, angetrieben durch die neue Ostpolitik (175 ff.). Die sozialliberale Bundesregierung wollte innenpolitisch ihre antiextremistische Zuverlässigkeit unter Beweis stellen und zeigen, dass eine Annäherung an die sozialistischen Länder keine Gefahr für eine kommunistische Wende in der Bundesrepublik heraufbeschwören könnte. Eine Sorge, die auch dadurch genährt wurde, dass sich 1968 eine neue kommunistische Partei (DKP) gründet hatte. Der Radikalenerlass verlangt von zukünftigen Beamt*innen, vor allem auch Lehrer*innen, dass sie jederzeit für die fdGO eintreten. Er führte zu zahlreichen Entlassungen, aber vor allem zu (bis heute) durchschlagenden demokratiepolitischen Kollateralschäden. In der Lehrerschaft entstand ein disziplinierendes Klima vorauseilenden Gehorsams mit „Duckmäusertum“, „Gesinnungsschnüffelei“ und „Einschüchterung“ (181). Der Radikalenerlass führte außerdem zu einem Bedeutungsgewinn des (exekutiven und geheimdienstlich arbeitenden) Verfassungsschutzes, weil seine Einschätzung, ob Personen „verfassungsfeindlich“ sind, maßgeblich für ein Berufsverbot waren. Als weiteres Beispiel für Auswirkungen der vergleichenden Extremismustheorie auf Strukturen und Praxis von politischer Bildung stellt Feldmann die Entwicklung und Debatten über die sogenannte „Demokratieerklärung“ dar. Seit Anfang der 1990er-Jahre sind mit zunehmender Tendenz öffentliche Förderprogramme gegen Rechtsextremismus aufgelegt worden. Vor allem ab dem Jahr 2000 hat dabei die Anregung und Förderung von bürgerschaftlichem Engagement gegen Rechts eine wichtige Rolle gespielt. Das hat dazu geführt hat, dass sich dort einige antifaschistische Personen und Initiativen engagieren, die als vermeintliche Linksextremisten ins Visier des Verfassungsschutzes gerieten. Die heftigen Debatten über eine notwendige Äquidistanz staatlicher (und staatlich geförderter!) Einrichtungen zu allen Extremist*innen kochten wieder hoch, die in der Logik der vergleichenden Extremismustheorie liegt. Das zuständige Bundesministerium versuchte dem Herr zu werden, indem es den geförderten Einrichtungen eine Demokratieerklärung abverlangte. Sie sollten für ihre eigenen Mitarbeiter*innen und auch die ihrer Kooperationspartner ein allgemeines Bekenntnis zur fdGO ablegen (191–219).

Was sind nun die wichtigsten Schlussfolgerungen Feldmanns für die politische Bildung? Zunächst ist festzuhalten, dass die Hegemonie der vergleichenden Extremismustheorie für die politische Bildung eine kaum zu überschätzende Bedeutung hat. Dass die extremismuspräventive Demokratieförderung nach den Empfehlungen einiger NSU-Untersuchungsausschüsse seit 2015 einen enormen Aufschwung hat, ist unverkennbar. Im Moment wird zum Bundeshaushalt 2024 heftig darüber diskutiert, warum es zu Kürzungen in der allgemeinen politischen Bildung kommen soll (vgl. dazu JOURNAL 3/2023). In den extremismuspräventiven Bundesprogrammen sind dagegen keine Kürzungen geplant. Das macht die nach wie vor vorhandene politische Durchschlagkraft des Extremismuskonzepts und der Wehrhaften Demokratie deutlich. Feldmann resümiert in seinem Fazit, dass die Ideologie des Antiextremismus mehr Schaden als Nutzen für die Demokratie mit sich bringt. Der demokratische Streit und Konflikt, wichtiger Motor demokratischer Entwicklungen, wird durch die Extremismustheorie eingeschränkt. Das Dilemma für eine kritische, auf Kontroversität orientierte politische Bildung wird damit klar. Feldmann plädiert infolgedessen für ein weites Verständnis von Politik und Kontroversität (295 ff.). Antiextremismus, und das gilt ausdrücklich auch für die Programme gegen Rechtsextremismus, hat für Feldmann ein „entdemokratisierende[s] Potential“ (311). Er plädiert deshalb für „alternative Konzepte […] u.a. das der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit oder Ansätze materialistischer Staatstheorie“ (295). Ob gegen „Rechtsextremismus“ anders vorgegangen werden müsste/sollte als gegen „Linksextremismus“ bleibt offen (220). Ihm ist aber klar, dass ein „wehrhafter“ Umgang mit Rechten, etwa über Berufs- oder Parteiverbote, wegen der immanenten Forderung nach einer extremismuspräventiven Äquidistanz, einen „Bumerang-Effekt“ auf der Linken provozieren könnte (288). Es bleiben also wichtige Anregungen für weitere fachliche Debatten.

Der Rezensent

Benedikt Widmaier, Politikwissenschaftler, war bis 2022 Direktor der Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz „Haus am Maiberg“.

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