Materialistische Konzeption politischer Bildung

Sascha Regier (2023): Den Staat aus der Gesellschaft denken. Ein kritischer Ansatz der Politischen Bildung. Bielefeld (transcript Verlag), 402 S., 44,00 € (print), als PDF kostenfrei 

Bei dieser Monographie handelt es sich um die Dissertationsschrift von Sascha Regier, in der er eine Soziopolitische Bildung konzeptualisiert, die die hegemoniale bürgerliche disziplinäre Trennung von Soziologie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften aufhebt, um die kapitalistische Verfasstheit von Staatlichkeit kritisch-materialistisch in den Blick nehmen zu können. Erkenntnisleitendes Interesse des Autors ist es, aus materialistischer Perspektive eine herrschafts- und machtkritische, auf Emanzipation abzielende Konzeption politischer Bildung zu entwickeln, die Staat, Markt und Gesellschaft in ihrer Verwoben- und Vermitteltheit begreift und zugleich eine Kritik an den hegemonialen Sozialwissenschaften sowie ihrer Didaktik leistet.

Im ersten Kapitel formuliert Regier eine Kritik an der hegemonialen Politikwissenschaft auf differenzierte Weise und charakterisiert ihr Politik-, Demokratie- und Staatsverständnis als affirmativ. Die mit diesem Staatsbegriff konnotierte Gemeinwohlorientierung, auf die sich auch der Mainstream der Politikdidaktik beziehe, lehnt der Autor begründet ab. Im zweiten Kapitel skizziert Regier den Doppelcharakter der Politischen Bildung und markiert sie als politisch umkämpftes Feld. Er arbeitet heraus, dass die hegemoniale Politische Bildung das affirmative Politik- und Staatsverständnis der institutionenorientierten Politikwissenschaft adaptiere, wodurch sie ihres herrschafts- und machtkritischen Potenzials beraubt werde. Vor dem Hintergrund dieser Problemdiagnose arbeitet Regier im dritten Kapitel Grundlagen einer Soziopolitischen Bildung aus, deren essenzielle Bezugsdisziplin die kritische Soziologie sei. Diese fokussiert er als eine staatstheoretisch erweiterte kritische Politische Bildung. Zentral für diese kritische Konzeptualisierung sei die Fokussierung gesellschaftlicher Strukturkonflikte im sozialwissenschaftlichen Unterricht, „um Herrschafts- und Machtverhältnisse begreifen und Emanzipation, Mündigkeit und Freiheit ermöglichen zu können“ (21). Dabei müsse das strukturelle Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus und die damit verbundene soziale Ungleichheit fokussiert werden. Im vierten Kapitel konstatiert der Autor ein Desiderat einer gesellschaftstheoretisch fundierten Staatstheorie als Grundlage einer Soziopolitischen Bildung. In diesem Zusammenhang problematisiert er das unterkomplexe Staatsverständnis der hegemonialen Politikwissenschaft und revitalisiert den Staatsbegriff der marxistischen Gesellschaftstheorie, um auf Basis aktualisierter materialistischer Staatstheorien eine differenzierte Analyse neoliberaler Herrschaft und der Transformation von Staatlichkeit zu leisten.

Im fünften und über 220 Seiten umfassenden längsten Kapitel…

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Der Rezensent

Ralph Blasche, Studienrat für die Fächer Politik & Wirtschaft, Philosophie, Ethik und Deutsch an einem Oberstufen­gymnasium in Frankfurt/M. und Lehrbeauftragter an der Universität Siegen.

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