Im Kampf gegen die Neue Weltordnung

Rechte Esoterik auf dem Vormarsch

Bei den Corona-Protesten und Querdenker-Demonstrationen fanden Menschen aus unterschiedlichen weltanschaulich-ideologischen Szenen zusammen. Dabei wurden personelle Vernetzungen zur rechten Esoterik sichtbar, eine Entwicklung, die sich schon vor der Pandemie abzeichnete. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung – und von außen oft kaum zu erkennen – ist die hohe Anschluss­fähigkeit rechtsesoterischer Überzeugungen zu verschwörungsideologischem und anti­demo­krati­schem Denken.

7. Dezember 2022, bundesweit stürmen Spezialkräfte der Polizei Wohnungen von Mitgliedern einer bewaffneten Reichsbürgergruppe, die einen Staatsstreich geplant hatten: Sie wollen einen Staat nach Vorbild des Deutschen Reichs von 1871 errichten. Die weltanschaulichen Motive der führenden Akteur*innen bewegen sich zwischen Esoterik, Verschwörungstheorien und QAnon-Ideologie. Unter den Verhafteten ist auch eine Astrologin, die für die Schattenregierung das „Amt für Transkommunikation“ übernehmen sollte. Bei den führenden Köpfen zeigt sich Presseberichten zufolge (z. B. De Assis u. a. 2023) eine hohe Affinität zu esoterischen Weltdeutungen und Praktiken. Hierbei lassen sich viele Überschneidungen zwischen reichsbürger- und verschwörungsideologischen sowie antidemokratischen und rechtsextremen Auffassungen erkennen. Hinzu kommen Elemente rechter Esoterik, deren Protagonist*innen mit Vernetzungsaktivitäten einen bislang unterschätzten Einfluss ausüben. 

Mit der Corona-Pandemie haben sich solche Verbindungen noch deutlicher zu erkennen gegeben. Auffällig ist, dass einschlägigen Studien zufolge antidemokratische und rechtsextreme Ideen bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind. Sie sind Ausdruck einer globalen Vertrauenskrise gegenüber Wissenschaft, Medien und Politik (Ebner 2023: 29 f.).

Weltanschauliche Brücken inmitten einer bunten Misstrauensgemeinschaft
Während der Corona-Pandemie gaben sich bei Querdenken-Demonstrationen und später bei den sogenannten Montagsspaziergängen inmitten einer bunten Misstrauensgemeinschaft unterschiedliche weltanschauliche Motivlagen des Protests zu erkennen: der Glaube an Verschwörungstheorien, ein Bezug zu Esoterik und Anthroposophie, die Ablehnung der Moderne unter Berufung auf eine vermeintlich natürliche Lebensweise und einer starken Nähe zu Homöopathie und Naturheilkunde sowie ein Widerstandsnarrativ gegenüber dem Staat. Unter den Demonstrierenden waren auch Reichsbürger*innen und Rechtsextreme zu finden. Doch auch Menschen, die sich keinem dieser Bereiche zuordnen ließen, reihten sich bei den Demonstrationen gegen die staatlichen Hygiene-Maßnahmen ein.

Wie kommt es zu dieser Allianz von Personen aus unterschiedlichen Szenen? Wie kommt es zum Verschwimmen von Grenzen, zum Hass auf das System, zu Umsturzfantasien und Gewaltbereitschaft? Neben wissenschaftlichen Untersuchungen der Universitäten Konstanz und Basel zum Milieu der Querdenker*innen, die demnach eine hohe Affinität zu esoterischen Deutungsmustern aufweisen, benannte der niedersächsische Verfassungsschutz im Dezember 2021, u. a. unter Berufung auf Analysen des Autors (Pöhlmann 2021), wichtige Gründe, warum unterschiedliche Einstellungen bei den Demonstrationen zusammenfanden. Demzufolge könne nicht ausschließlich von einer gezielten Instrumentalisierung der Corona-Proteste durch Rechtsextremisten und Reichsbürger*innen die Rede sein: „Diese haben nicht primär ein instrumentelles Verhältnis zu den Coronaleugnenden. Vielmehr sehen sie eine Bewegung, die insbesondere in ihrem radikalisierten Teil ähnliche Muster, Grundannahmen und Erklärungen zum Verständnis der Welt benutzt wie sie selbst. […] 


Enge Verbindungen zwischen antidemokratischen und rechtsesoterischen Ideologien sind nicht neu



In dieser von Verschwörungserzählungen und esoterischen Weltbildern geprägten Mischszene fungieren Chiffren und Labels wie ‚Big Pharma‘, ‚NWO‘ (New World Order), ‚Great Reset‘, ‚Globalisten‘, ‚jüdische Hochfinanz‘, ‚QAnon‘, aber auch Themen wie Impfgegnerschaft und die Ablehnung der Schulmedizin [d.i. der evidenzbasierten Medizin; MP] (und der Rückgriff auf sogenannte Alternativmedizin) als einende Narrative und Muster, die eine Grundlage nicht nur für inhaltliche Überschneidungen, sondern auch für gemeinsames Handeln bieten. Diese gemeinsamen Erzählungen und Überzeugungen dienen als Brücken zwischen den Szenen und ermöglichen eine niederschwellige Übernahme von Ideologieelementen“ (Niedersächsisches Innenministerium/Verfassungsschutz 2021). Diese engen Verbindungen zwischen antimodernistischen, antidemokratischen, verschwörungsideologischen und rechtsesoterischen Ideologien sind nicht neu. Spätestens seit den 1990er und verstärkt seit den 2010er Jahren, also bereits deutlich vor der Corona-Pandemie, waren sie zu beobachten.

Moderne Esoterik zwischen Alltagsphänomen und Krisensymptom Schätzungen zufolge beläuft sich der jährliche Umsatz im Bereich Esoterik auf eine Summe zwischen 15 und 20 Milliarden Euro. Heutige Esoterik changiert zwischen Alltagsphänomen und Krisensymptom. Sie ist in der Bevölkerung weit verbreitet, so dass man inzwischen auch von einer Esoterisierung der Gesellschaft sprechen kann, da esoterische Offerten den Alltag vieler Menschen durchdringen, wenngleich in unterschiedlicher Weise und Intensität ihrer Nutzung. Gleichzeitig verfügt die zeitgenössische Esoterik über ein spezielles Sensorium für individuelle wie gesamtgesellschaftliche Krisenlagen. 


„Sprituelles Überwissen“ entzieht sich der rationalen Überprüfbarkeit



Hierzu zählen übersinnliche Heilungs- und Beratungsangebote, aber auch höchst gefährliche Ernährungsofferten wie etwa die von Anbietern propagierte Prana- oder Lichtnahrung. Seit der Jahrtausendwende kamen neue Zauberworte für den Umgang mit Kindern, sogenannten Indigo- oder Kristallkindern auf den Markt.

Heutige Esoterik umfasst systemesoterische Entwürfe wie die anglo-indische Theosophie sowie die Anthroposophie Rudolf Steiners, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Sie eint der Anspruch auf höhere Erkenntnis und höheres Wissen. Demnach handelt es sich bei Theosophie und Anthroposophie um weltanschauliche Entwürfe auf esoterischer Grundlage. Davon zu unterscheiden ist die heutige Konsumesoterik, die – den Prinzipien des Marktes folgend – An­bieter*innen, Nutzer*innen und eine Vielzahl von Offerten umfasst. Hierzu zählen Angebote wie astrologische Lebensberatung, Geistheilung, unterschiedliche, meist fernöstlich eingefärbte Meditationsformen, Aura-Lesen und vieles mehr. Um das Phänomen und den Selbstanspruch besser erfassen zu können, muss besonders der dort vertretene höhere Erkenntnisanspruch in den Blick genommen werden.

Der Religionspsychologe Bernhard Grom hat hierfür ein zentrales Charakteristikum esoterischer Weltdeutung benannt, das er in dem besonderen, höheren Erkenntnisanspruch esoterischen Wissens erblickt. Es handelt sich demnach um Auffassungen jenseits wissenschaftlichen und weltanschaulichen Denkens. Sie lehnen die herkömmlichen Rationalitätskriterien ab und berufen sich stattdessen auf „eine besondere, höhere Erkenntnis […], die sich angeblich nur einem Innenkreis von entsprechend Sensiblen, Erleuchteten, spirituell Fortgeschrittenen oder Eingeweihten in der Vergangenheit erschlossen hat oder heute erschließt“ (Grom 2002: 11). Dieser Anspruch hat enorme Konsequenzen, entzieht sich doch solch „spirituelles Überwissen“ der rationalen Überprüfbarkeit. Im schlimmsten Fall sind psychische und finanzielle Abhängigkeit von spirituellen Coaches und esoterischen Lehrerinnen und Meistern sowie eine unkritische Methodengläubigkeit die Folge, die in eine Esoteriksucht münden kann (Pohl 2022: 11 ff.).

Rechte Esoterik und Konspiritualität
Seit Mitte der 1990er Jahre gibt sich eine spezifische Form rechter Esoterik zu erkennen, die besonders über Bücher, Social Media und Videoplattformen in Erscheinung tritt (Pöhlmann 2021). Letztere bilden die digitalen Echokammern rechter Esoterik, die wiederum als Brandbeschleuniger von Verschwörungserzählungen dienen. Rechte Esoterik umfasst Gruppierungen, Bewegungen und Einzelpersonen, die Esoterik als Möglichkeit für die Verbreitung von Feindbildern sowie von verschwörungsideologischem, antidemokratischem und rechtem bzw. geschlossenem Denken nutzen. Dies ermöglicht wiederum eine grundsätzliche Anschlussfähigkeit an antimodernistisches und antidemokratisches Gedankengut. Es gibt hierzulande eine Vielzahl rechtsesoterischer, „alternativer“ Medien und Verlage, die das Gedankengut intensiv verbreiten. Die Anbieter*innen gerieren sich als esoterische Überwisser*innen. Sie berufen sich auf höhere Erkenntnis oder angeblich von Wissenschaft und Mainstream unterdrückte, obs­kure Quellen. Mit ihrem angeblich auf übersinnlichem Wege gewonnenen höheren Erkenntnismodell wenden sie sich gegen die Vernunft und gegen wissenschaftsbasierte Theorien insgesamt. 

Rechte Esoterik wendet sich gegen die herkömmliche Geschichtsdeutung, gegen die als „Lügenpresse“ diskreditierten Medien und etablierte politische Parteien. Sie sind offen für illiberales und antipluralistisches Gedankengut, für „alternative“, höchst problematische Heilungsofferten wie die Germanische Neue Medizin Ryke Geerd Hamers. Die oftmals als unpolitisch empfundene Esoterik-Szene weist bei genauerem Hinsehen erkennbare braune Flecken auf. In einschlägigen Büchern wird gezielt Misstrauen gegen das demokratische System und insbesondere gegenüber ihren Repräsentant*innen geschürt – bis hin zu Umsturz- und Gewaltfantasien. Das Verschwimmen der Grenzen Moderne Esoterik und Verschwörungsglaube bilden ein Zwillingspaar. Diese spezifische Form der „Konspiritualität“ (Ward/Voas 2011) oder Verschwörungsesoterik wurde im Kontext der Corona-Pandemie besonders sichtbar. Sie äußerte sich in unterschiedlichen Verschwörungsnarrativen, die davon ausgingen, dass das Corona-Virus von bösen Drahtziehern bewusst in Umlauf gebracht wurde oder dass die Existenz der Pandemie bezweifelt oder als gezieltes Ablenkungsmanöver für die Durchsetzung böser Machenschaften der globalen Elite gedeutet wurden. Damit verbinden sich oft stereotype antisemitische Muster. So berufen sich einzelne Vertreter*innen auf die hundertfach als Fälschung erwiesenen Protokolle der Weisen von Zion oder behaupten, die Familie Rothschild sei ein maßgeblicher Hintergrundakteur. 


Die als unpolitisch empfundene Esoterik-Szene weist braune Flecken auf 



Wie fließend die Übergänge zwischen Esoterik- und Reichsbürgerszene sind, zeigt sich am Beispiel von Peter Fitzek, dem selbsternannten König des „Königreich Deutschland“. Seiner „Verfassung“ sollen der Internetpräsenz zufolge esoterische, universelle Gesetze, die „hermetischen Prinzipien“, als „Schöpfungsordnung“ zugrunde liegen. Inhaltliche Verflechtungen werden auch bei den publizistischen Umschlagplätzen rechtsesoterischer Weltanschauungsproduktion erkennbar. In Bayern gibt es mehrere Kleinstverlage, die einschlägige Literatur vertreiben. Hierzu zählte bis vor kurzem der von der früheren Reichsbürgerin Ingrid Schlotterbeck geleitete, in Marktoberdorf ansässige Argo-Verlag. Rechts­esoterische und konspirituelle Literatur vertreibt u. a. auch der Michaels-Verlag sowie der in Baden-Württemberg ansässige Kopp-Verlag. Zu den eifrigsten rechts­esoterisch-ver­schwörungs­ideologischen Weltanschauungsproduzenten zählt der Amadeus Verlag des antisemitisch-verschwörungsideologischen Bestsellerautors Jan Udo Holey alias Jan van Helsing. Neben rechts­esoterischen Einzelpersonen geben sich mit der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung und ihren Ak­teur*in­nen problematische antidemokratische, rassistische und antisemitische Grundüberzeugungen zu erkennen. Anhän­ger*in­nen der gleichnamigen, ursprünglich aus Russland stammenden Buchreihe engagieren sich nicht nur mit der Gründung von sog. Familienlandsitzen, wovon es in Deutschland bereits knapp zwanzig gibt, sondern neuerdings auch im Kontext der Freilerner-Szene (Pöhlmann 2022). Unterstellt wird staatlichen Schulen eine systematische Konditionierung der Schüler*innen, weshalb es alternativer Lerngruppen mit Lernbegleiter*innen bedürfe. 2022 hat sich in Gmund am Tegernsee auf Initiative rechter Esoteriker „Die Akademie“ gebildet, in der Univer­si­tätsprofessor*innen neben Quer­denker*in­nen und Verschwörungs­ideo­log*in­nen Online-Veranstaltungen anbieten. 

Diese Entwicklungen dokumentieren in besorgniserregender Weise, wie weit und nahezu unbemerkt rechte Esoterik bereits in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist.


Literatur
De Assis, Evandro/ Ribas De Oliviera, Fernanda/Venohr, Sascha (2023): Countdown zum Umsturz. In: Die Zeit, 19, 04.05., S. 15–17.

Ebner, Julia (2023): Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Berlin.

Grom, Bernhard (2002): Hoffnungsträger Esoterik? Regensburg. Niedersächsisches Innenministerium/Verfassungsschutz: Analyse zu Kooperationen und Überschneidungen von Reichsbürgern und Rechtsextremisten mit Coronaleugnern. Pressemitteilung vom 21.12.2021; www.verfassungsschutz.niedersachsen.de/download/179250/.pdf [letzter Zugriff 01.05.2023]. 

Pöhlmann, Matthias (2021): Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Freiburg/Brsg. 

Pöhlmann, Matthias (2022): Familienlandsitze und freies Lernen im rechtsesoterischen Gewand. In: Ligante. Fachdebatten aus der Präventionsarbeit, Ausgabe Nr. 5., hg. von der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus. Berlin, ­ S. 25–31. 

Pohl, Sarah (2022): Spiritueller Schiffbruch? Sich selbst und anderen in Sinnnot helfen. Göttingen. 

Ward, Charlotte/Voas, David (2011): The Emergence of Conspirituality. In: Journal of Contemporary Religion 26, S. 103–121.
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Der Autor

Dr. theol. Matthias Pöhlmann ist Kirchenrat, Landes­kirchlicher Beauftragter für Sekten und Welt­anschauungs­beauftragter der Ev.-Luth. Kirche in Bayern sowie Lehrbeauftragter für Religionswissenschaft und -geschichte an der LMU und der Universität der Bundeswehr München. www.rechte-esoterik.de

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