„Hier kann ich sein, wie ich bin!“
Deutsche Gewerkschaften führen eine Vielzahl ihrer Veranstaltungen in eigenen Bildungszentren durch. Die politische Kultur dieser Lern- und Schutzräume zur Aus- und Weiterbildung der betrieblichen und gesellschaftlichen Mitbestimmung reicht bis zu 120 Jahre zurück. Sie sind einer der größten politischen Weiterbildungsträger und befinden sich in einem wertebasierten Transformationsprozess, um eine aktuelle und attraktive Bildungsarbeit für Erwachsene anzubieten.
Der Arbeitsplatz muss als eine Art demokratiefreier Raum
definiert werden. Mit dem Arbeitsvertrag verpflichtet sich
der Beschäftigte gegen Bezahlung, bestimmte Aufgaben für
den Arbeitgeber zu verrichten. Dazu gehört nicht mehr alles
zu sagen, was über bestimmte Handlungen oder sogar vom
Unternehmen selbst gedacht wird. Es kann dann Beschäftigte
irritieren, wenn ihre kritische Meinung zum Arbeitgeber auf
Instagram, Facebook und Co. nicht mehr erlaubt ist, weil es
ansonsten zur Kündigung kommen kann. Also doch nichts
mit Meinungsfreiheit in Deutschland?
Zumindest nicht überall. Anfang des 20. Jahrhunderts
entwickelten sich aus den Arbeiterbildungsvereinen, die als
Gründungsorte der deutschen Gewerkschaften gesehen
werden können, sukzessive Bildungszentren mit Übernachtungsmöglichkeit.
Die Idee war treffend wie einfach: Nur mit
genügend strategischem, politischem und rechtlichem Wissen
ist es möglich, die Rechte der Arbeitnehmer*innen
entscheidend zu verbessern. Freiwillig wollen Unternehmenslenker*
innen noch heute keine Macht teilen und gute Arbeit
musste damals wie heute durch die „Kraft der Vielen“ eingefordert
werden.
Gewerkschaftliche Bildungszenten sind dabei ein Ort zum
Entdecken neuer Ideen, um Kraft und Mut zu schöpfen
sowie sich in jeglicher Form fit für Konfliktsituationen zu
machen. Am Arbeitsplatz selbst, wie auch mit dem Arbeitgeber
und deren Verbänden. „Wie darf der Vorgesetzte mit
mir umgehen? Warum verdient mein Kollege mehr als ich
bei gleicher Arbeit? Warum setze ich meine Gesundheit am
Arbeitsplatz aufs Spiel?“ usw. Alles Fragen, die in einem
geschützten Raum ohne Arbeitgeber oder andere Konfliktparteien
gestellt werden müssen. Ziel ist insbesondere zu
erfahren, was rechtlich erlaubt ist und in welchen Situationen
aktiv für sich und andere für eine bessere Arbeitssituation
gekämpft werden sollte. Gewerkschaftliche Bildung hat
somit keinen rein aufklärerischen oder gar zweckfreien
Ausgangspunkt. Sie soll dazu befähigen, sich politisch für
sich und andere einzusetzen und Handlungen für eine bessere
Arbeitswelt, Wirtschaft und Gesellschaft zu erzeugen.
Dies natürlich stets im Einklang mit dem Beutelsbacher
Konsens Gewerkschaftliche Bildungsarbeit ist politisch nicht
neutral. Die gewerkschaftlichen Forderungen an Unternehmen und Politik werden eindeutig beschrieben, diskutiert
und weiterentwickelt.
Ausstattungsmerkmale der Bildungsstätten
Heute haben die…
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Der Autor
Oliver Venzke, Leiter der Abteilung Bildung in
der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie
Energie.