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Einführung in die komplexe Welt der Staatsbürgerkunde

Detlev Schild (2023): Staat – Rechtsstaat – Europäische Union. Schorndorf (Atticus Verlag), 96 S., 15,00 €


Die politische Landschaft ist komplex und undurchsichtig. Eine Vielzahl an Institutionen und Regelungen bestimmen unser gesellschaftliches und politisches Zusammenleben. Diese sind im gleichen Maße wichtig wie auch einschränkend in der Meinungsbildung und im politischen Austausch. Wer soll da den Überblick behalten? 

Detlev Schild hat es sich in seinem Buch zur Aufgabe gemacht, einen verständlichen Weg durch das komplexe Labyrinth der Fachbegriffe, Theorien und Institutionen zu finden. Staatsbürgerkunde, so Schilds Prämisse, würde nur in einem sehr knappen Rahmen in der Schule vermittelt. Ein Versäumnis, wie bereits sein Vorwort suggeriert. Daher ist es folgerichtig, dass Schild sein Buch vor allem an Schüler*innen und interessierte Laien richtet und ihnen einen verständlichen Einstieg in die Grundlagen der politischen Bildung verspricht. 

Schild teilt sein Werk in vier übersichtliche Teile auf. Im ersten Teil wird der Staat in seiner grundlegendsten Form definiert. Dabei nimmt sich Schild vergleichsweise viel Raum in seinen sonst sehr komprimierten Ausführungen. Er arbeitet drei zentrale Elemente heraus, die ein Staat erfüllen muss, um als solcher anerkannt zu werden: ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt. Fehle eines dieser drei Elementen, so könne man nicht von einem Staat reden.

Im weiteren Verlauf des ersten Teils arbeitet Schild verschiedene Staatsformen heraus. Er geht in seinen Ausführungen bis zum griechischen Historiker Polýbios zurück, welcher schon vor über 2000 Jahren mit der Einteilung von Staaten in die Formen Monarchie, Aristokratie und Demokratie bzw. Tyrannis, Oligarchie und Ochlokratie die Grundlagen für die moderne Staatstheorie legte. Besonderes Augenmerk widmet Schild den demokratischen Staatsformen, bei denen er noch einmal gesondert zwischen direkten Demokratien (z. B. Schweiz), repräsentativen Demokratien (z. B. Deutschland) und demokratischen Monarchien (z. B. Großbritannien) unterscheidet. Hier stößt der Autor jedoch erstmals an die Grenzen seines sehr kompakt gehaltenen Buches. So kann er sich nicht tiefgründiger mit der behandelten Materie auseinandersetzen, obgleich in der vergleichenden Politikwissenschaft noch deutlich differenzierter zwischen einzelnen demokratischen Staatsformen unterschieden wird.

Im zweiten Teil seines Buches geht Detlev Schild ins Detail und beleuchtet sowohl die Funktionsweise als auch den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates. Dabei führt er die Gewaltenteilung als das wichtigste Merkmal einer funktionierenden Demokratie auf. Legislative (gesetzgebende Gewalt), Exekutive (Ausübung der Staatsgewalt) und Judikative (rechtsprechende Gewalt) müssten dabei strikt getrennt sein, um die Existenz und das Fortbestehen einer Demokratie zu gewährleisten. Auch hier bleibt Schild die historischen Ursprünge nicht schuldig und verweist auf den französischen Staatsrechtler, Historiker und Philosoph Montesquieu (1689–1755). Die ideengeschichtlichen Grundlagen des nicht minder relevanten englischen Staatstheo­retikers John Locke (1632–1704) finden allerdings keine Erwähnung. 

Im Folgenden erklärt Schild den Unterschied zwischen Zentralstaaten (z. B. Frankreich) und Bundesstaaten bzw. föderalen Staaten (z. B. Deutschland, USA). Grundlegend für Bundesstaaten sei das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Das Subsidiaritätsprinzip besage, dass alle Aufgaben zunächst auf der untersten politischen Verwaltungsebene ausgeführt werden sollen. Nur wenn diese nicht in der Lage ist, eine Aufgabe zu lösen, wird sie an die nächsthöhere Verwaltungsinstanz delegiert. Dieses Prinzip ist auch im deutschen Grundgesetz als Artikel 23 verankert. Schild geht jedoch nicht näher darauf ein, sondern konzentriert sich in der Folge nur auf die ersten 19 Artikel der Verfassung. Er erklärt die mit den Artikeln einhergehenden Pflichten der Bürger*innen und den in der Verfassung niedergeschriebenen Aufbau des deutschen Staates. Von der Rolle des Bundestags bis hin zum Bundesverfassungsgericht gibt Schild einen Einblick in die Aufgaben und Befugnisse der obersten Staatsorgane. Auch hier muss er der Kompaktheit seines Werkes einen Tribut zollen und verzichtet auf eine vergleichende Perspektive mit europäischen Nachbarländern, welche einen spannenden zusätzlichen Blickwinkel bedeutet hätte.

Im dritten Teil seines Werkes widmet sich Schild den zwischenstaatlichen Beziehungen. Er beleuchtet verschiedene internationalen Organisationen, Militärbündnisse und Staatenbünde, die diese Beziehungen regeln und beeinflussen. Schild fokussiert sich im Speziellen auf internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Genfer Konvention oder den Völkerbund, Militärbündnisse wie den Nord-Atlantik-Pakt (NATO) oder den Rio-Pakt und Staatenbünde wie die Afrikanische Union und die Andengemeinschaft. Besonders ausführlich geht er auf die Europäische Union ein, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung eine herausragende Rolle in der Welt spielt. Schild fasst prägnant und pointiert die historische Entwicklung der EU zusammen und geht dabei auf die zentralen und bis heute bedeutungsvollen Beschlüsse der Verträge von Maastricht (1993) und Lissabon (2009) ein. Auch die Funktionsweise der wichtigsten EU-Organe, wie des Europäischen Rats, des Rats der Europäischen Union, des Europäischen Parlaments und des Europäischen Gerichtshofs, werden eingehend behandelt. 

Nachdem Detlev Schild den Leser*innen die wesentlichen Strukturen des politischen Systems Deutschlands und der Europäischen Union nähergebracht hat, geht er noch einen Schritt weiter. In einen deutlichen kürzeren vierten Teil gibt er seinen Leser*innen einen Fragenkatalog an die Hand, der dazu anregen soll, das erlernte Wissen zu vertiefen und anzuwenden. Dabei geht es nicht nur darum, das Verständnis für die behandelten Themen zu überprüfen, sondern auch um die Anwendung der erlernten Kenntnisse auf aktuelle politische Fragestellungen. Der Fragenkatalog ermöglicht es den Leser*innen, das erworbene Wissen zu reflektieren und anhand von praktischen Beispielen aus der Politik zu erweitern. Dieser didaktische Ansatz macht das Buch nicht nur für Schüler*innen zu einem wertvollen Begleiter bei der Auseinandersetzung mit den komplexen Strukturen des politischen Systems.

Schild vermittelt seine Inhalte in einer klaren, präzisen Sprache und bietet den Leser*innen eine verständliche Einführung in die komplexe Welt der Staatsbürgerkunde. Auf gerade einmal 96 Seiten schafft es der Autor, die wichtigsten Institutionen, Regeln und Verträge unseres gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens zusammenzufassen und auf das Wesentliche herunterzubrechen. Dies führt dazu, dass bestimmte Abschnitte nur an der Oberfläche behandelt werden, was gelegentlich zu Verkürzungen und Vereinfachungen führt. Nichtsdestotrotz ist „Staat – Rechtsstaat – Europäische Union“ eine lesenswerte und gelungene Einführung in die Grundlagen der Staatsbürgerkunde. Detlev Schild liefert ein profundes und durchaus empfehlenswertes Buch, hält es doch, was es verspricht: die Vermittlung von Basiswissen und einen leichten Einstieg in die Grundlagen der politischen Bildung.

Der Rezensent

Hauke Cordts hat Globale Politik, ­Politikwissenschaft und Soziologie an ­der Georg-August-Universität in Göttingen studiert. Er arbeitet als Pressereferent bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

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