Den Kampf für soziale Gleichheit ausweiten, nicht aufgeben

Identitätspolitische Perspektiven und Bewegungen leisten einen wichtigen Beitrag im Kampf um Partizipation, Gleichheit und Gerechtigkeit und damit zur Gestaltung von Demokratie. Als notwendige gesellschaftliche Korrektive bieten sie autoritären Versuchungen die Stirn und können auch für die politische Bildungsarbeit wichtige Anknüpfungspunkte sein.


Identitätspolitiken schießen mitunter weit übers Ziel hinaus und nehmen skurrile Formen an, geschenkt. Wenn Menschen etwa wegen Blackfacings in Jugendjahren ihren Job verlieren oder Menschen mit heller Haut wegen ihrer Dreadlocks aggressiv an den Pranger gestellt werden, dann ist das zweifellos kritikwürdig. Sobald Identitätspolitik zur essenzialistischen Repräsentationspolitik wird, bei der Hautpigment und Hormonstatus mehr Gewicht haben als politische Haltungen und Argumente, ist es zu rechten Konzepten des Ethnopluralismus nicht mehr weit. Der Bezug auf kollektive Identitäten tendiert immer auch zu solchen Essenzialisierungen. Das passiert gegenwärtig etwa auch durch einen Feminismus, der sich auf Biologie beruft, um trans-Frauen auszuschließen. Auch politisch motivierte Vereinheitlichungen, die suggerieren, all jene, die einer kollektiven Identität zugerechnet werden, teilten tatsächlich mehr als sie trennen würde, gehören zu den Problemen von Identitätspolitiken. Denn sie müssen existierende Unterschiede und Machtgefälle innerhalb identitätspolitisch organisierter Gruppen kleinreden.

Und dennoch machen es sich die meisten Kritiker*innen viel zu leicht. Wer Identitätspolitiken zur bloßen „Marotte“ erklärt, wie Sahra Wagenknecht, die sie in ihrem aktuellen Buch dem Klas­senkampf entgegensetzt, oder sie wie die Autorin Caroline Foureste als den von einer „beleidigten Generation“ geführten Streit um „nichts“ bagatellisiert, verkennt ihre Ursprünge ebenso wie ihre Bedeutung für die Kämpfe der Linken.

Linke Identitätspolitiken sind Reaktionen auf Diskriminierung Linke Identitätspolitiken sind Reaktionen auf Diskriminierung. Menschen werden kollektiv identifiziert, ohne sich die zugeschriebene Zugehörigkeit selbst ausgesucht haben. Diese Identifizierungen geschehen im Kontext gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse. Sie werden institutionell abgesichert und im Alltag reproduziert. Als Frau oder als Schwarzer kategorisiert zu werden, hat Auswirkungen, die der oder die Einzelne nicht selbst kontrollieren kann. Auswirkungen auf Verdienstmöglichkeiten, auf die Chance, eine Wohnung zu finden, auf das Risiko, von Faschos verprügelt zu werden. Wenn also Diskriminierung und Unterdrückung kollektiv funktionieren, liegt es nahe, sich auch kollektiv dagegen zur Wehr zu setzen. Linke Identitätspolitiken reagieren kollektiv auf diese strukturellen Diskriminierungen. Anders als rechte Identitätspolitiken zielen sie nicht auf Abgrenzung und Privilegierung der „eigenen“ Gruppe, sondern auf Teilhabe und Gerechtigkeit für alle. Und…

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Autor*innen

Lea Susemichel hat Philosophie und Gender Studies in Wien studierte. Sie ist Autorin, Jour­- nalistin und Lehrbeauftragte und seit 2006 ­leitende Redakteurin von an.schläge. Das feministische Magazin. www.anschlaege.at, www.susemichel.de

PD Dr. phil. habil. Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker. Er ist Senior Lecturer am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien. http://www.jenspetzkastner.de/

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