Demokratien in der Krise

In vielen liberalen Demokratien erodieren die Parteiensysteme oder lösen sich gleich ganz auf. Sie werden dabei insbesondere von autoritär-populistischen Akteur*innen herausgefordert. Demokratien sehen sich mit dramatischen politischen Transformationsprozessen, neuen Konfliktlinien und Polarisierungen sowie Parteien- und Repräsentationskrisen konfrontiert, auf die sie noch keine nachhaltigen Antworten gefunden haben.


Der Begriff der Krise im Allgemeinen und der Demokratiekrise im Besonderen ist freilich ein schillernder. Er verweist nicht nur auf gesellschaftliche Problemlagen heutiger Demokratien, sondern wird auch von Populist*innen ständig beschworen, ja ist konstitutiver Teil des populistischen Stils. Doch es steht außer Zweifel: Demokratien haben heute zum einen in schneller Abfolge zahlreiche neue und reale Krisen zu bewältigen, welche teils die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens berühren. Zum anderen begünstigen jene Krisen den Umstand, dass die Legitimität von pluralistischer, freiheitlich verfasster Demokratie als gesellschaftliches Ordnungs- und Integrationsmodell tatsächlich zunehmend brüchig erscheint. 

Sogar fest etablierte und stabile Demokratien sehen sich in mehrfacher Hinsicht dem Druck autoritärer Herausforderungen ausgesetzt, von ‚außen‘ und von ‚innen‘. Sie sind erstens mit dem Ausbau und der Konsolidierung bestehender autoritärer politischer Systeme im internationalen System konfrontiert. Diese intervenieren in Demokratien technologisch, ökonomisch, medial-kommunikativ und – wie im Fall des russischen Aggressionskrieges in der Ukraine – militärisch und verstärken so dort wie global gesellschaftliche Konflikte. Zweitens haben sich im letzten Jahrzehnt neue, schwache, nicht hinreichend konsolidierte oder ‚defekte‘ Demokratien signifikant entliberalisiert und entdemokratisiert. Das umfasst auch zahlreiche Systeme, die noch zur Jahrtausendwende als Hoffnungsträger von Demokratisierungen galten – von Ägypten oder Tunesien nach dem „ara­bischen Frühling“ bis nach Myanmar, der Türkei oder – mitten in der EU – Ungarn unter Viktor Orbán. 


Ehemalige demokratische Hoffnungsträger Regredieren zu faktischen (Wahl-)Autokratien



Deren Regression zu faktischen (Wahl-)Autokratien (Barlai/Hartleb/Mikecz 2023: 199) bedeutet auch den Verlust realer und potentieller Bündnispartner für die verbliebenen Demokratien im globalen Raum. Drittens sind gesellschaftliche Erosionsprozesse und der mit ihnen verwobene internationale Aufstieg eines autoritären Populismus im Innern bisher gefestigter liberaler Demokratien selbst zu beobachten. Dieser stellt bisherige demokratische Politik, Repräsentationsformen, ja Verfassungen und Verfassungsnormen infrage. Das Wiedererstarken autoritärer politischer Tendenzen, Ideen und Systeme indiziert somit auch eine transnationale Legitimitätskrise des…

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Der Autor

Prof. Dr. Lars Rensmann lehrt Politikwissenschaft, Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre, an der Universität Passau. Zuvor war er Prof. für Europäische Politik und Gesellschaft in Groningen (Nieder­- lande) und Gründungsdirektor des dortigen Centre for the Study of Democratic Cultures and Politics. Er lehrte zudem in den USA, Italien, Israel und Österreich.

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