Aufsuchende politische Bildung an berufsbildenden Schulen
Im Zuge der Debatte über das Konzept der „aufsuchenden politischen Bildung in der/über Arbeitswelt“ geraten auch die berufsbildenden Schulen in den Fokus der non-formalen politischen Bildungsarbeit. Das Konzept der aufsuchenden politischen Bildung in der Arbeitswelt lehnt sich an die Tradition der aufsuchenden Sozialen Arbeit an. Diese zeichnet sich durch einen auf ihre Zielgruppen zugehenden Ansatz aus. Die „Komm“-Strukturen herkömmlicher, hier politischer (Bildungs-)Einrichtungen werden aufgegeben, zumindest erweitert, da diese von sozioökonomisch benachteiligten Menschen im Vergleich zu den sozioökonomisch Privilegierten weitaus seltener angenommen werden.
Zu den wenig erreichten Zielgruppen der politischen Bildung zählen teilweise auch Lernende an berufsbildenden Schulen. Dort erstreckt sich der Bildungsauftrag nicht nur auf die Vermittlung berufsbezogener, sondern auch auf berufsübergreifende Kompetenzen (vgl. KMK 2021: 10). Die Lernenden sollen, so die Kultusministerkonferenz, zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung in der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung befähigt werden (vgl. ebd.). Der Bildungsauftrag der berufsbildenden Schulen umfasst demnach auch die politische Bildung, wenn dieser auch von der Bildungspolitik stark vernachlässigt wird (Hölterhoff 2022: 244 ff.; Wittau/Zurstrassen 2017).
Politischer Bildung kommt an berufsbildenden Schulen eine besondere Bedeutung zu, indem sie z. B.
- Lernende bei der Sozialisation und dem Übergang in die Arbeitswelt unterstützt und ihnen für das Berufsbild relevante politische Sach-, Orientierungs- und Handlungskompetenzen vermittelt. Der Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die Arbeitswelt gilt als eine der Kristallisationsphasen der politischen Sozialisation (vgl. Grob 2009: 332). Diese wird biographisch als fordernde Lebensphase empfunden, wodurch das Interesse an politisch-gesellschaftlicher Orientierung hoch ist. Die Lernenden machen beim Übergang in den Beruf eine Vielzahl neuer Erfahrungen, werden mit neuen Anforderungssituationen (neue soziale Rollen) konfrontiert und müssen sich mit dem System der Arbeitswelt auseinandersetzen und dort orientieren. Sie haben das Bedürfnis, Erfahrungen in der Arbeitswelt (auch aus anderen Lebenswelten) im Unterricht zu thematisieren und diese durch politisch-gesellschaftliche Analyse einzuordnen, um auf dieser Basis Handlungsstrategien zu entwickeln (vgl. Zurstrassen 2012: 9).
- als eine zentrale gesellschaftliche Integrationsinstitution für junge Erwachsene, auch für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, Chancen des demokratischen Lernens und Erlebens eröffnet. Sie befähigt, Kompetenzen zu erwerben sowie ihre eigenen Interessen in der Arbeitswelt und in anderen Politikfeldern vertreten zu können.
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Die Autorin
Dr. Bettina Zurstrassen ist Professorin für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Sie hat langjährige Erfahrungen als Lehrerin an einem Berufskolleg
für Gesundheit, Soziales und Allgemeingewerbe sowie in der non-formalen sozialwissenschaftlichen Erwachsenenbildung.