Wehrhafte Demokratie per Gesetz?

Maximilian Fuhrmann/Sarah Schulz: Strammstehen vor der Demokratie. Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik. Stuttgart (Schmetterling Verlag) 2021, 135 S., 12,80 €


Mit ihrer neuen kleinen Schrift zu „Extremismuskonzept und Staatsschutz“ schaffen es Maximilian Fuhrmann und Sarah Schulz punktgenau, wichtige Hintergrundinformationen zu einer aktuellen politischen Debatte zu liefern. Denn das Bundeskabinett hat im November 2020 weitere Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention von Rechtsextremismus und Rassismus beschlossen. Dazu gehören auch die Vorbereitung eines Gesetzes zur Förderung der wehrhaften Demokratie und der Aufbau eines Beirats zu ihrer Förderung. Über das Gesetz ist seither zwischen der CDU und der CSU ein in mehrfacher Hinsicht paradox anmutender Streit entstanden, weil die CDU auf alle Fälle eine sogenannte Extremismusklausel ins Gesetz einbringen will, mit der verhindert werden soll, dass möglicherweise linksextremistische Organisationen eine staatliche Förderung aus Programmen zur Rechtsextremismusprävention erhalten.

In dieser Forderung spiegelt sich wider, was Fuhrmann/Schulz sehr anschaulich beschreiben, historisch herleiten und begründen: In der Bundesrepublik existiert seit den 1950er-Jahren eine hegemoniale Extremismustheorie, die politisch eine Äquidistanz zum Links- und Rechtsextremismus gleichermaßen fordert. Fuhrmann/Schulz wollen zeigen, wie „Aspekte des Komplexes von Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik bis heute fortwirken und politisches Handeln rahmen“ (15) und sich die „wehrhafte Demokratie […] tief in die politische Kultur der Bundesrepublik eingeschrieben“ hat (111).

Das Buch bietet in zwei Teilen zeitgeschichtliche, juristische und politische Basisinformationen: Einen von Sarah Schulz verantworteten ersten Teil zur historischen Verankerung und Wirkungsweise des Konzepts der wehrhaften Demokratie (16–64) und einen zweiten von Maximilian Fuhrmann gezeichneten Teil zur Funktion und Unzulänglichkeit des Extremismuskonzepts (65–110). Die beiden in sich geschlossenen Teile werden gerahmt durch eine gemeinsame Einleitung, ein Fazit und einen sehr umfangreichen Anhang mit Quellen- und Literaturverzeichnis. Trotz dieser wissenschaftlichen Ambitionen, die beide bereits in umfangreichen Monographien zum Thema unter Beweis gestellt haben, gelingt es ihnen, auch die theoretischen Hintergründe gut nachvollziehbar zu beschreiben. Der breit gefächerte Schatz an treffenden Zitaten aus Politik und Wissenschaft trägt dabei sehr zur Anschaulichkeit bei.

Sarah Schulz entkräftet den Mythos der werterelativistischen Weimarer Republik, die an diesem liberalistischen Relativismus gescheitert sei. Stattdessen vertritt sie die Position, dass es die allgemeine Skepsis gegenüber Demokratie, Partizipation und demokratischer Bürgerschaft war, die das Weimarer-System so instabil gemacht und zu seinem Scheitern beigetragen habe. Dazu kamen insbesondere die Verfolgung politischer Gegner und eine konservative und „auf dem rechten Auge blinde“ politische Justiz.

Das Misstrauen gegenüber der demokratischen Reife der Bürger*innen habe auch nach 1949 maßgeblich zur Implementierung einer wehrhaften Demokratie geführt. Zur Zeit der Entwicklung des Grundgesetzes war der zunächst von den Alliierten auferlegte Antifaschismus längst wieder gekippt. Besondere Auslöser für den im Kalten Krieg dominanten Antikommunismus waren u. a. die Berlin-Blockade 1948 und der Koreakrieg ab 1950. Aus dem antifaschistischen war so schnell ein antitotalitärer, vor allem aber antikommunistischer Konsens geworden, der die Politik der Bundesrepublik bis weit in die 1960er Jahre hinein prägte (29–41).

Zu den ersten Instrumentarien der wehrhaften Demokratie gehörten das Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 (46–49), mit dem der strafrechtliche Staatsschutz gesetzlich geregelt wurde, und die Verbotsverfahren gegen zwei Parteien (49–52). In den Urteilen dieser Verfahren definierte das Bundesverfassungsgericht die sogenannte „freiheitlich demokratische Grundordnung“ (fdGO). Diese Formel aus den 1950er Jahren wird bis heute als zentraler Teil bundesrepublikanischer Staatsräson, Grundlage des Demokratie- und Staatsschutzes und damit auch des Extremismuskonzepts betrachtet.

Die fdGO wurde in den 1970er Jahren auch genutzt, um gegen vermeintlich radikale (linke) Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst vorzugehen und Berufsverbote auszusprechen. Fuhrmann zeigt, wie der Antikommunismus dieser Zeit die Extremismusforschung begründete, und auch, wie eng diese mit dem Verfassungsschutz und mit der politischen Bildung verbunden war (75–82). Den Anspruch der Extremismusforschung, eine klare Grenze zwischen Extremismus und Demokratie bestimmen zu können, kritisiert Fuhrmann als Teil eines „autoritären Demokratieverständnisses“ (97–99).

Dass das Extremismuskonzept „seine Hegemonie stetig ausbaut“ und heute politisch enorm wirkmächtig ist, zeigt sich tatsächlich an Demokratieförderprogrammen des Bundes und inzwischen aller Bundesländer, die im abschließenden Kapitel vorgestellt werden. Fuhrmann ist erstaunt, dass offenbar „die Zivilgesellschaft kein Problem mit einem Bekenntnis zu einer Formel hat, die sich auch gegen die Zivilgesellschaft richtet, sobald sie den staatlich verordneten Rahmen politischer Handlungsmöglichkeiten verlässt“ (109).

Diese steile These macht deutlich, dass der Extremismusbegriff und die freiheitlich demokratische Grundordnung zentrale Bestandteile auch des Selbstverständnisses und der Geschichte von politischer Bildung sind. Das Buch von Schulz/Fuhrmann bietet allen, die politisch-pädagogisch tätig sind, viele Anstöße für einen informierten und reflektierten Umgang mit einem grundlegenden Aspekt eigener Professionsgeschichte und Identität. Es schärft den kritischen Blick auf die aktuell dominante extremismuspräventive Demokratieförderung. Nach der Lektüre drängt sich die Frage auf, ob ein „Gesetz zur Förderung der wehrhaften Demokratie“ die politische Bildung wirklich voranbringen kann und soll.


Zitation:
Widmaier, Benedikt (2021). Wehrhafte Demokratie per Gesetz? Rezension zu: Maximilian Fuhrmann/Sarah Schulz: Strammstehen vor der Demokratie. Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik, in: Journal für politische Bildung 3/2021, 66-67.

Der Autor

Benedikt Widmaier, Direktor des Haus am Maiberg und Mitglied der Journal-Redaktion.

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