Vom fehlenden Umgang mit Grenzüberschreitungen

Anfang der 1990er Jahre wurde im Kontext der grassierenden rechten, rassistischen und anti­semitischen Gewalt der Umgang mit rechten Jugendlichen in der Sozialen Arbeit kontrovers diskutiert. Das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit erlangte besondere Aufmerksamkeit und prägte die Debatte sowie die konkrete Arbeit in einzelnen Jugendclubs. Eine empirische Studie zur Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen gewährt unter Berücksichtigung genderreflektierender Überlegungen Einblick in das damalige Handeln.


Mit der ‚Wende‘ im Herbst 1989 öffnete sich die innerdeutsche Grenze. Oftmals wird damit auch ein neues, stärkeres und problematisches Nationalbewusstsein der Mehrheitsgesellschaft verbunden. Der Mauerfall gilt als „historische Zäsur“ (Lierke u. a. 2020: 14), die gravierende (und zum Teil tödliche) Auswirkungen auf das migrantische, jüdische und als „anders“ stigmatisierte Leben (Punks, wohnungslose Menschen, queere Personen) in Ost- und Westdeutschland hatte. 

Innerhalb der Sozialpädagogik wurde die damalige rechte Gewalt und die Frage nach den Reaktionsmöglichkeiten schnell und kontrovers diskutiert (vgl. Scherr 1991). Die rasche Verbreitung gewalttätiger Skinheadsubkulturen in vielen Sozialräumen der ostdeutschen Transformationsgesellschaft nach dem Systemumbruch 1989 stellte damalige Sozialarbeiter*innen zunehmend vor Herausforderungen. Das Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen“ (Krafeld u. a. 1993) plädierte auf Grundlage von Praxiserfahrungen in einem Hochschulprojekt für eine bewusste Zuwendung zu rechten Jugendlichen. In Zusammenarbeit mit studentischen Mitarbeiter*innen entwickelte Franz Josef Krafeld Ende der 1980er Jahre Handlungsansätze für die Arbeit mit rechten Cliquen. Der akzeptierende Ansatz war bis dahin für die Arbeit mit Suchtmittelabhängigen anerkannt und wurde auf den Bereich des Rechtsextremismus übertragen.


„Akzeptierende Jugendarbeit“ plädierte für eine bewusste Zuwendung zu rechten Jugendlichen



Das Konzept gilt als erste Ausarbeitung für eine Jugendarbeit mit der Zielgruppe rechte Jugendliche und beeinflusste den damaligen Diskurs zum sozialpädagogischen Umgang mit rechten Jugendlichen ungemein. Schnell fanden sich auch kritische Stimmen, die eine einseitige Adressierung der Sozialen Arbeit – eine Täterfokussierung – in der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt problematisierten und vor einer Entpolitisierung durch eine Pädagogisierung warnten. Die Kritik äußerte sich in Bezug auf das Fehlen von genderreflektierenden und rassismuskritischen Perspektiven bereits in den frühen 1990er Jahren (u. a. vgl. Rommels­pacher 1993). Seitdem hält die kontroverse Debatte über den Umgang mit rechten Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit an. Dieser Diskurs wurde innerhalb der Sozialen Arbeit bis dato jedoch unzulänglich…

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Autor*innen

Dr. phil. Esther Lehnert ist Professorin für Geschichte, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.

Lucia Bruns, M.A., ist Erziehungswissenschaftlerin, ­Doktorandin und Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.

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