Neuer Sozialtypus prägt das Protestmilieu

Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey (2022): Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Berlin (Suhrkamp Verlag) , 480 S., 28,00 € (auch als E-Book)


Amlinger/Nachtwey gehen in ihrer Studie der Frage nach, welche Menschen aus welchen Milieus, aus welchen Motiven, mit welchen Einstellungen und aufgrund welcher biografischen Erfahrungen sich den Protesten gegen die gesundheits- und ordnungspolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise angeschlossen haben. In der Öffentlichkeit war irritiert registriert worden, dass sich eine bunte Vielfalt an Akteur*innen an den Aktionen beteiligte. In ihrer empirisch basierten und theoretisch geleiteten Studie kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich in der Spätmoderne (ab ca. den 1970er Jahren) ein neuer Sozialtypus des libertären Autoritären sukzessive herausgebildet hat. In Verbindung mit der Zuwanderung Geflüchteter (2015/2016) und insbesondere im Kontext der Corona-Pandemie sei diese Sozialfigur massiv in Erscheinung getreten. 

Um diese These zu begründen, werden in der Studie soziale und politische Entwicklungen reflektiert und die sich wandelnden Bedingungen der Individualisierung und Subjektbildung analysiert. Die empirische Basis bildet eine Befragung von Teilnehmer*innen an Demonstrationen aus dem Spektrum der Querdenker*innen – mit Einzelnen wurden ergänzend umfangreiche qualitative Interviews durchgeführt. Außerdem werden Erkenntnisse aus qualitativen Interviews mit Menschen einbezogen, die sich politisch links verstanden haben und nun in Richtung AfD konvertiert sind. 

Bei der Lektüre der Studie ist zu beachten, dass es Amlinger/Nachtwey nicht darum geht, die Angemessenheit politischen Handelns angesichts der Pandemie zu untersuchen. Ihr Fokus gilt der Frage, wie sich die Entstehung einer neuen Sozialfigur aus sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Entwicklungen (u. a. Änderung von Wertorientierungen, Dominanz des Neoliberalismus, Globalisierung, Anerkennung der Rechte von Minderheiten, Krise der repräsentativen Demokratie) im Kontext von sich zuspitzenden Krisen erklären lässt.

In den Kapiteln 1 bis 5 der Studie beziehen Amlinger/Nachtwey ein breites Spek­trum theoretischer Ansätze in ihre Analyse gesellschaftlicher Dynamiken ein, um die Folgen für eine veränderte Positionierung der Individuen in der Spätmoderne und die damit verbundenen Chancen für und die Zumutungen an Individuen im Detail zu bestimmen. Da ihr eigener Ansatz in den Kontext der kritischen Theorie einzuordnen ist, ist es naheliegend, dass Amlinger/Nachtwey prüfen, inwieweit die Studien von Horkheimer/Adorno zum ‚Autoritären Charakter‘ aktuell noch Erklärungskraft für rechtspopulistische Proteste haben. Sie konstatieren, dass zwar in den von ihnen untersuchten Gruppen noch zahlreiche Merkmale der autoritären Persönlichkeit wie „autoritäre Aggression, Kraftmeierei, Destruktivität,…

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Der Rezensent

Klaus Waldmann, Dipl. Pädagoge, Berlin

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