Den Rechtsextremismus bekämpfen

Die wachsende Attraktivität rechtsextremistischer Orientierungen ist wohl unstrittig eine der ganz großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Umso überraschender ist, dass die Aktivitäten dagegen seit Jahrzehnten kaum erfolgreicher geworden sind. Es stimmt immer noch, was Kurt Möller schon 1989 als „Hilflosigkeit des Antifaschismus“ (vgl. Möller 1989) beschrieben hat. Und das, obwohl sich seit damals ungeheuer viel an entsprechendem zivilgesellschaftlichen Engagement entfaltet hat sowie Bund und Länder viele entsprechende Programme aufgelegt und finanziert haben.

Dabei gibt es seit langem auch sehr wirksame Ansätze in diesem Problemfeld, denen zufolge es z. B. in extrem belasteten Stadtteilen nach einigen Jahren einhellig hieß: „Das Problem Rechtsextremismus hat sich bei uns erledigt“ (Krafeld 1996: 58). Solche Erfahrungen werden allerdings immer wieder ausgeblendet oder systematisch diskreditiert, weil ihre Erfolge darauf aufbauen, mit bislang gängigen Selbstverständnissen und Tabuisierungen im Umgang mit dem Rechtsextremismus zu brechen.

Zur aktuellen Situation
Etwas differenzierter betrachtet stellt sich die aktuelle Situation wohl unbestritten so dar: Wir erleben einerseits, dass in den letzten Jahrzehnten die Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus ganz erheblich zugenommen haben. Das betrifft sowohl zivilgesellschaftlich initiierte Aktivitäten wie staatliche Programme. Gleichzeitig scheint unstrittig, dass deren Wirksamkeit sich seit Jahrzehnten eigentlich nicht verbessert hat, zumindest aber sehr weit hinter allen Erwartungen zurückgeblieben ist.

Trotzdem werden die Grundmuster der gängigen Maßnahmen und Strategien eher noch verbissener als alternativlos verteidigt. Obwohl sämtliche Evaluationen, die sich seit der Evaluation zum „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ der Bundesregierung (AgAG; Laufzeit 1992-1996) immer auf sehr aussageschwache, quantitative Angaben konzentrierten, enttäuschende Bilanzen zeigen. Allerdings wird dies geschickt hinter immer aufgeblähten bloßen Tätigkeitsnachweisen versteckt.

Gleichzeitig werden die Grenzen, wen man überhaupt erreichen will, immer enger gezogen, und damit auch, wen umgekehrt nicht. Diese Einengung widerspricht oft allen Resozialisierungsansprüchen unserer Zivilgesellschaft. Zudem grenzt man damit diejenigen, die für den Rechtsextremismus die entscheidenden gesellschaftlichen Nährböden ausmachen, immer resoluter aus. Das betrifft selbst Jugendliche mit oft kurvenreicher Suche nach Orientierungen. Und das, obwohl diese sogar einen nicht verwirkbaren Rechtsanspruch auf „Förderung ihrer Entwicklung“ haben (§ 1, Abs. 1 SGB VIII).

Ursachen mangelnder Wirksamkeit
Grundsätzlich lässt sich zunächst einmal feststellen, dass sich fast sämtliche gängigen Aktivitäten im Umgang mit dem Rechtsextremismus auf „Kämpfe gegen ...“ konzentrieren, begleitet von teils expressiv feindlichen Haltungen. Dagegen spielen „Kämpfe für ...“ menschenwürdigere Alternativen meist kaum eine Rolle. Und wenn, dann als alltagsentrückte grundsätzliche Wertevermittlung, die kaum erlebbar macht, was eine entfaltete Zivilgesellschaft im Alltag „bieten“ könnte. Und zwar für alle, die hier leben!

Wie wenig tatsächliche Problemlagen ernst genommen werden, das zeigte in den 1990er Jahren besonders deutlich das AgAG-Programm der Bundesregierung. Aufgabe dieses Programms war nie, primär junge Menschen in der Ex-DDR bei der Bewältigung tiefgreifender Umbruchsituationen zu unterstützen, was damals ungemein wichtig gewesen wäre. Sondern mit dem Programm ging es vor allem darum, aus dem Umbruch resultierende negative Auffälligkeiten zu bekämpfen, nicht zuletzt die damals massiv zunehmenden rechtsextremistischen Aktivitäten. Was aber mit diesem Ansatz erschreckend misslang.

Ausgebreitet hat sich seit jener Zeit eine Grundhaltung, aus den Kämpfen gegen rechtsextremis­tische Ideologien und Organisationen immer mehr eine Bekämpfung von Mitmenschen mit entsprechenden Orientierungen zu machen. Dadurch wurden Fronten meist nur verhärtet, statt zumindest Chancen für zivilgesellschaftliche Umorientierungen zu öffnen.


Hinter den Erwartungen zurückgeblieben



Wahrscheinlich am allerwichtigsten für die mangelnde Wirksamkeit von Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus ist aber wohl, was Wilhelm Heitmeyer schon 1989 so formulierte: „Belehrungen kommen gegen Erfahrungen nicht an“ (vgl. Heitmeyer 1989). Wobei Heitmeyer mit Erfahrung hier nicht das meint, was im Alltag meist als Erfahrung bezeichnet wird, nämlich bloß Erlebtes. Heitmeyer verwendet hier vielmehr den Erfahrungsbegriff von Oskar Negt, der unter Erfahrung die sehr individuelle – und von Person zu Person verschiedene – Be- und Verarbeitung von Erlebtem versteht (vgl. Negt/Kluge 1972: 27 f. und 57 ff.). Dazu zählen Verdrängen und platteste Deutungen ebenso wie widerspruchsvolle Verarbeitungen – im Kopf wie im Bauch. Negt sieht letztlich die größte Herausforderung emanzipatorischer Arbeit darin, sich unterstützend in derartige Verarbeitungsprozesse einzubringen, in die „subjektgesteuerte Produktion von Erfahrungen“.

Im Vergleich dazu bewirken die meisten herkömmlichen Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus beschämend wenig, so etwa

  • sachbezogene Information, Aufklärung oder Belehrung durch Belehrende,
  • Zurechtweisungen und mechanische Empörungsreflexe (im Sinne von „das kann man doch nicht so stehen lassen“),
  • Druck, Ausgrenzung oder Bestrafung,
  • symbolischer Aktivismus (wie „Nazifreie Zonen“ oder „Rote Karte gegen rechts“)
  • oder auch Gewalt gegen Personen.

Mit derartigen Maßnahmen werden meist bestenfalls nur „Fitzelchen“ von dem erreicht, was man sich davon verspricht. Und trotzdem hält sich die Ansicht fast unerschütterlich, dass genau diese Handlungskonzepte alternativlos seien. Genauso, wie sich in unserer Gesellschaft ein fast unerschütterlicher Glaube daran erhält, mit immer härterem oder resoluterem Durchgreifen die größte Wirkung erzielen zu können, obwohl alle Erfahrungen zeigen, wie weltfremd diese Überlegung oft ist.

Allen derartigen Praktiken ist nämlich letztlich eines gemeinsam, was ihre ernüchternde Wirkungsschwäche bewirkt: dass sie nämlich ihre Adres­sat*innen systematisch als Objekte ihrer „gut gemeinten“ Anstrengungen sehen und behandeln. Das kann man kaum als respektvolle Haltung bezeichnen. Dabei hängt die Bereitschaft, sich „etwas sagen zu lassen“ oder gar eigene Orientierungen zu hinterfragen, entscheidend davon ab, ob man sich selbst respektiert, angenommen und wertgeschätzt fühlt bzw. ob man sich von dem Gegenüber „etwas sagen lässt“, weil man diese Person schätzt. Wer aber Andersdenkenden selbst die Achtung ihrer unveräußerlichen Menschenrechte verwehrt (oft mit dem Argument, dass diese sich ja auch nicht danach richten), macht Menschenrechte von den eigenen Vorstellungen von Wohlverhalten abhängig, wodurch dann Chancen der Einflussnahme massiv reduziert werden.

Seit Jahrzehnten schon erleben wir immer gleiche Spiralen von Wirkungsschwäche. Davon stechen drei besonders heraus:
immer neue Varianten von sachzentrierter Vermittlungs- und Belehrungsarbeit,
immer neue Varianten der Ausgrenzung wegen mangelnden Wohlverhaltens
oder gar der Rechtfertigung von physischen Übergriffen auf „Feinde“ der eigenen Gesellschaftsvorstellungen.
Wie tief solche Muster sitzen, das zeigt sich im Alltag immer wieder in Äußerungen wie diesen:
  • dem dauernden „aber man muss doch etwas tun“,
  • im ständigen Moralisieren,
  • im platten Polarisieren („das muss“ – „das geht gar nicht“),
  • im „mit denen red‘ ich doch nicht“
  • oder – umgekehrt – im Differenzen ausblendenden „Schulterschluss aller Demokraten“.

Gleichzeitig breitet sich immer mehr eine Grundhaltung aus, nach der es notwendig sei, zum Schutze der Freiheit und der Menschenrechte genau diese einzuschränken. Sei es vorübergehend für alle oder gezielt denen gegenüber, die sie vorgeblich „missbrauchen“. Was am Ende beides wohl noch nie zu mehr Freiheit geführt hat.

Überfällige Umorientierungen
Dagegen steht als Grundauffassung: „Vorrangig ist nicht das, was getan werden muss, sondern das, womit sich etwas bewirken lässt“ (Wecker 2009). Das aber verlangt als erstes, wirksamkeitsorientierte Prioritäten zu setzen. Dies können in den Bereichen Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit sinnvoll kaum grundlegende ideologische oder organisatorische Herausforderungen sein. Auf diese kann man kaum Einfluss nehmen. Andererseits hat man in diesen Feldern besondere Zugangschancen zu vielen der Menschen, die sich etwas von rechtsextremistischen Orientierungen versprechen. Also muss man sich entscheiden, welches Ziel das eigene Handeln primär leitet,

  • rechtsextremistische Orientierungen zu bekämpfen
  • oder menschenwürdige Umorientierungen anzuregen und zu unterstützen.

Dabei ist in der praktischen Arbeit selbst nichts so wichtig wie die grundsätzliche Haltung, wie man potenzielle Adressat*innen sieht. Sieht man sie

  • primär als Objekte eigener Interventions- und Besserungsbemühungen
  • oder als Menschen, die es wert sind, trotz teils erschreckender Haltungen als die eigentlichen Subjekte ihres Lebens gesehen und respektiert zu werden; bei denen wir uns unterstützend einmischen möchten, um Umorientierungen anzustoßen?

Ein solcher Ansatz braucht ein positives, ein optimistisches Menschenbild, das von der Lern- und Veränderungsfähigkeit aller Menschen ausgeht, und schließlich eine Überzeugung, dass rechtsextremistische Orientierungen meist erst dann attraktiv wurden, wenn man vorher mit menschenwürdigeren Orientierungen zu wenig weiterkam.

Es geht also um die Anregung von Umstiegen zu vielversprechenderen Orientierungen und nicht bloß um das vielbeschworene Werben für Ausstiege. Denn zum Ausstieg ist meist nur bereit, wer sich davon Lohnenswertes verspricht. Bei all dem ist es in der Alltagspraxis schließlich ungemein wichtig, immer wieder zu unterscheiden zwischen Förderung und Unterstützung. Denn in der Praxis ist es grundverschieden, ob eine Fachkraft zu vermitteln sucht, was sie selbst für förderlich hält. Oder ob sie andere als Subjekte ihres Lebens ernst nimmt und sie dabei „unterstützt und begleitet“, gelingender „ihren eigenen Weg zu finden“.

Bewährte Ansätze der Praxis
Mit derartigen, leider sehr untypischen Grundhaltungen ist es immer wieder gelungen, selbst in hochbrisanten Umfeldern überraschend erfolgreich gegen die Attraktivität rechtsextremistischer Orientierungen zu wirken, weil sich aus derartigen Grundhaltungen höchst wirksame Handlungs­­mus­­­ter ergeben:
  1. Alle Menschen ernst zu nehmen als Menschen, die von nichts so sehr getrieben sind wie von ihrem Bestreben, möglichst viel aus ihrem eigenen Leben zu machen. Trotz aller Schwierigkeiten, die ihnen bislang widerfahren sind.
  2. Anzusetzen an den Problemen, die diese Menschen haben, statt an den Problemen, die sie anderen machen. (Das bedeutet auch, dass diese sich irgendwann auch dafür interessieren, welche Probleme andere mit ihnen haben.)
  3. Allen Menschen uneingeschränkte emanzipationsfördernde Angebote zu machen, weil es Menschen mit unveräußerlichen Menschenrechten sind. (Ohne das von irgendwelchen Wohlverhaltens-Leistungen abhängig zu machen.)
  4. Das alles geht letztlich nur mit einem konsequenten
  • ernst nehmen,
  • zuhören,
  • sich für sie (!) interessieren (und nicht nur für das, was wir kritisieren),
  • Beziehungen aufbauen und pflegen,
  • Teilhabeansprüche aller (!) als unverzichtbar ansehen und entsprechende Arrangements im sozialen Umfeld anstreben,
  • und zu konfrontieren mit sich als Person, die entsprechende Werthaltungen hat und lebt,
  • statt zu konfrontieren mit Fakten, Normen oder Grenzen.

Schluss
Stellt man die konventionellen, bestenfalls ernüchternd wirkungsschwachen Ansätze in der Bekämpfung des Rechtsextremismus den Erfahrungen mit konsequent emanzipatorischen Ansätzen gegenüber, dann ergibt sich daraus eindeutig: Statt weiter auf den gängigen Wegen endlos und zermürbend gegen den Rechtsextremismus anzukämpfen, wäre es viel wirksamer, sich darum zu bemühen, den Nährböden des Rechtsextremismus durch emanzipatorische Angebote „das Wasser abzugraben“. Vor allem, indem man bemüht ist, die Zivilgesellschaft im eigenen Alltag menschenwürdiger und lebenswerter zu entfalten. Natürlich für alle, die hier leben. Ich bin sicher: Wer emanzipatorische Unterstützung für alle wichtig findet, findet dafür Wege. Und wer nicht, findet dafür Gründe.

Literatur
Heitmeyer, Wilhelm (1989): Belehrungen kommen gegen Erfahrungen nicht an. In: Erziehung und Wissenschaft, 41. Jg., Heft 9, S. 6–10.

Krafeld, Franz Josef (1996): Die Praxis akzeptierender Jugendarbeit. Konzepte, Erfahrungen, Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendlichen. Opladen.

Möller, Kurt (1989): Zwei Dutzend Gründe für die aktuelle Hilflosigkeit des politischen und pädagogischen Antifaschismus. In: neue praxis, 19. Jg., Heft 6, S. 480–496.

Negt, Oskar/Kluge, Alexander (1972): Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt/M.

Wecker, Konstantin (2009): Interview im Bayerischen Rundfunk

Bei diesem Text handelt es sich um die leicht erweiterte Fassung des Einführungsvortrags des Autors bei der Online-Tagung „Ansichten wechseln – 7. Merseburger Tagung zur systemischen Sozialarbeit“ am 27. November 2020.


Zitation:
Krafeld, Franz-Josef (2021). Den Rechtsextremismus bekämpfen. Emanzipatorische Alternativen zu notorischen Wirkungsschwächen, in: Journal für politische Bildung 2/2021, 4-7, DOI https://doi.org/10.46499/1670.1949.

Der Autor

Prof. em. Dr. Franz-Josef Krafeld lehrte 1979–2012 an der Hochschule Bremen im Bereich Soziale Arbeit und war vorher erst neben dem Studium, dann hauptberuflich in der außerschulischen politischen Bildung tätig.

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