„Wir machen einfach mal …!“

Corona hat uns als ABC Bildungs- und Tagungszentrum e. V. (ABC) völlig überrascht und umgehauen. Als kleiner Bildungsträger mit großem Tagungshaus hat uns die Krise heftig getroffen. Täglich erfuhren wir von neuen Verordnungen, und die Sorgen um unsere Veranstaltungen, unsere Arbeit, aber auch unsere Gesundheit wuchsen. Einige große Veranstaltungen standen bevor, die mit einer großen Zahl von Teilnehmenden in unserem Haus stattfinden sollten. Was also tun? Eigentlich stand für uns zu keiner Zeit zur Debatte, die Veranstaltungen komplett abzusagen, also gab es nur die Alternative eines digitalen Formats.

Wir krempelten die Ärmel hoch und erwarben vielerlei Lizenzen. Unter anderem auch für die Videokonferenzsoftware Zoom, zu der es zwar zu dieser Zeit Datenschutzbedenken gab, die aber die besten Verbindungs- und Nutzungsergebnisse bot. Wir wussten auch nicht, ob sich Zoom durchsetzen würde, aber wir wollten einfach loslegen. Die Anfangsphase unseres Tuns seit Corona war geprägt von einem gewissen Aktionismus, der uns in diesem Moment einfach ein gutes Gefühl gab und uns aus unserer Ohnmacht befreite. Also kamen wir als Team zusammen, bündelten unsere Erfahrungen, Expertisen und Ressourcen und transformierten unser Vorhaben – anfangs ohne das Wissen, ob unser Vorhaben wahrgenommen oder förderbar sein würde – ins Digitale. Zugute kam uns dabei, dass wir bereits alle sehr erprobt in digitaler Arbeit waren. Videokonferenzen, Kommunikation über Slack, Arbeitsorganisation mit verschiedenen Tools, ortsunabhänges Arbeiten …, all das war für uns bereits seit langem Routine.

Barcamp digital
Die erste Veranstaltung, die nun digital stattfinden sollte, war das JugendPolitCamp (JPC). Dieses wird stets auch von jungen engagierten Menschen mit organisiert, die uns in diesem Jahr wahnsinnig bei der Umsetzung unterstützt haben. An vier Tagen über Ostern 2020 gab es daher als Ersatz für das ursprünglich im ABC geplante Event ein digitales Angebot für alle politisch interessierten jungen Menschen zwischen 16 und 27 Jahren. Über die reguläre Programmzeit hinaus gab es auch informelle Angebote, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, den Austausch untereinander zu fördern und soweit es geht die Möglichkeiten einer Bildungsstätte digital abzubilden.

 Damit alle Teilnehmer*innen wussten, was sie erwartet, veröffentlichten wir im Voraus eine Anleitung mit technischen Hinweisen. Die Barcamp-typischen Programmpunkte blieben bestehen, die Umgebungen und Räume änderten sich: Die Sessionplanung erfolgte digital auf barcamptools.eu und die Ankündigungen und Absprachen fanden über einen eigenen Discord-Server (ein Chat-Kommunikationstool, das eigentlich vor allem in der Gamer*innen-Szene bekannt ist) statt. Die eigentlichen Sessions wurden in verschiedenen Online-Räumen in Zoom abgehalten. Das Kennenlernen am Anfang fand in kleinen Gruppen und in separaten Videokonferenz-Räumen (Breakout-Sessions) statt.

An jedem Morgen erfolgte die Tagesplanung mit allen. Die eigentlichen Session-Zeiten verbrachten die Teilnehmenden in vorbereiteten und betreuten Videokonferenz-Räumen. Die Räume waren passwortgeschützt, um sicherzustellen, dass das JPC nicht komplett öffentlich war. Uns war wichtig, dass die Teilnehmenden weitgehend unter sich blieben, wir jede*n zuordnen konnten und einen für sie sicheren Ort schafften, an dem sie sich wohlfühlen konnten.

 Wir freuten uns sehr, dass das JPC auch in der digitalen Version sehr gut angenommen wurde. Es kam – wie auch in den analogen Versionen – eine heterogene Gruppe junger Menschen zusammen, die sich gegenseitig politisch bilden, empowern und vernetzen wollten und zu einer großen Bandbreite von Themen diskutierten. Der Anteil politisch interessierter, engagierter Geflüchteter war in diesem Jahr im Vergleich zu den Vorjahren jedoch sehr niedrig. Wir führten das auf die höheren – auch sprachlichen – Einstiegshürden und einen mangelnden Zugang zu ausreichendem Datenvolumen und Computern zurück, die für ein Online-Event hilfreich sind.

Barrieren digitaler Formate überwinden
Das spornte uns an, uns intensiver mit den Barrieren digitaler Veranstaltungen zu beschäftigen. Dies taten wir dann auch umgehend im Rahmen der nächsten – schon kurz darauf stattfindenden – Veranstaltung für Multiplikator*innen, dem Barcamp politische Bildung (bcpb.de). Basierend auf unseren Erfahrungen, aber auch den technischen Rahmenbedingungen, die wir durch das Jugendpolitcamp geschaffen hatten, bereiteten wir auch dieses digitale Barcamp vor.

Die Resonanz war überwältigend! Nach der Ankündigung, dass das BCPB nicht wie geplant bei uns in Hüll stattfinden würde, sondern digital, verzeichneten wir rund 170 Anmeldungen. Wir interpretieren dieses enorme Interesse dahingehend, dass es gerade durch Corona – besonders unter den Fachkräften – einen massiven Bedarf an Austausch gab und gibt. Das spiegelte sich auch in den verschiedenen Themen der Sessions wider. So gab es einen Austausch zu Themen wie: Inklusion im Digitalen; Freiberuflichkeit in Zeiten einer Pandemie; Digitale Tools und Onlineformate; Open Educational Resources; Online-Bewegungsangebote; Chancen, Gefahren und Unsicherheiten von Vermittlung im digitalen Raum; Game based (digital) Learning; Beziehungsarbeit und Gruppendynamik im digitalen Raum u. v. m.

Wie beim JPC gab es auch hier Räume für informellen Austausch und kulturelle Angebote, wie ein Live-Konzert oder „Rudelgucken“ des Films „Adamstown“, der im ABC entstanden war und u. a. mit dem Dieter-Baacke-Preis ausgezeichnet wurde. Das Feedback der Teilnehmenden ist sehr positiv ausgefallen. Sie fühlten sich gut mitgenommen und mit unterschiedlichen Tools und Angeboten durch die Tage geleitet. Die Stimmung in den Sessions war sehr entspannt und zugewandt. Die Teilnehmenden gaben an, sich intensiv ausgetauscht und Denkanstöße bekommen zu haben.

Auch wir waren so inspiriert von der Auseinandersetzung im Rahmen des BCPB, dass wir sogar noch während der Veranstaltung eine weitere digitale Fortbildung inkl. Barcamptag konzipierten. Besonders bewegte uns dabei die Frage, wie wir digitale Lernräume diversitätssensibel, diskriminierungskritisch und barrierereflexiv gestalten können. So folgten wir erneut unserem Prinzip „Lass uns mal einfach machen!”. Wir fragten spannende Referent*innen für Workshops und Inputs an, starteten die Teilnehmendenakquise und schauten, was passierte. Die Resonanz war zwar deutlich geringer als beim BCPB, doch das Interesse war spürbar. So kamen wir unter dem Motto „Opening Spaces Online“ Ende Juni mit verschiedensten Kolleg*innen und Fachkräften zusammen, um den wichtigen Diskurs über Themen wie (politische) Beteiligung, Inklusion, Diversität und Diskriminierung in der digitalen Bildungspraxis anzustoßen bzw. fortzusetzen. Im Anschluss an diese intensive, konstruktive und sehr lehrreiche Auseinandersetzung arbeiteten wir uns noch weitergehend in das Feld „Emotionen, Gruppendynamik und Beziehungsarbeit im Digitalen Lernraum“ ein. Entstanden sind Leitfäden und Leitfragen für die Gestaltung digitaler Bildungsräume, die auch bereits in einigen Workshops eingesetzt und Multiplikator*innen zur Verfügung gestellt wurden.

Kollegiale Beratung und Fortbildung
Seit dem Sommer ist viel passiert. Auf der einen Seite können wir wieder analoge Veranstaltung durchführen. Auf der anderen Seite gibt es auch weiterhin einen Bedarf an digitalen Zusammenkünften und Hybridangeboten, die gleichzeitiges Präsenz- und Onlinelernen verbinden. Auch andere Bildungsstätten machten sich auf den Weg, digitale Bildungsangebote zu konzipieren. Durch unsere drei großen Veranstaltungen, die wir hier beschrieben haben, wurden viele Kolleg*innen auf uns aufmerksam und baten uns um Rat und Unterstützung. Beides bieten wir nun seit längerem in Form von Fortbildungen, kollegialer Beratung oder auch dem Verleih von technischem Equipment an.

Uns hat zunächst sehr verwundert, warum gerade wir immer wieder als „digital erfahrene“ Bildungsstätte angefragt wurden. Klar, wir sind digital affin und manchmal auch ein bisschen nerdy …, aber eigentlich hatten auch wir zu Beginn des Jahres kaum Erfahrung in der Konzeption und Organisation von reinen Onlineveranstaltungen. Unser schnelles Handeln ist auch durch unsere flachen Hierarchien, unsere flexible Arbeits- und Organisationsgestaltung und Offenheit für Neues mit dem Zulassen von Scheitern als Option und Chance befördert worden. Flexibilität und souveräner Umgang damit, dass wir vieles, was wir anboten, einfach auch erst einmal als „Versuch“ transparent machten, verschaffte uns schnell einen gewissen „Expert*innen-Ruf“, den wir uns selbst nie geben würden. Was uns auszeichnet ist, dass wir keine Scheu vor digitalen Formaten hatten, uns zutrauen das umzusetzen, dass wir extrem fehlerfreundlich mit uns, unserem Vorhaben und auch den Teilnehmenden umgehen. Ferner genießen wir als freie Träger das Privileg, einfach loslegen zu können, während andere Einrichtungen über Wochen und Monate hinweg eventuell mit übergeordneten Stabsstellen diskutieren müssen, welche Plattform aus welchen Gründen wie genutzt werden darf.

Manchmal haben wir gerätselt, warum viele politischen Bildner*innen sich so schwertun, sich auf eine Digitalisierung einzulassen. Wir vermuten, dass dies nicht nur mit unflexiblen Strukturen zusammenhängt, sondern eben auch mit dem Mindset. Unsere Beobachtungen lassen uns zu dem Schluss kommen, dass es hier deutliche Parallelen zu einem anderen Diskurs über Multiplikator*innen politischer Bildung gibt, nämlich fehlende Diversität bzw. fehlende Diversitätsreflexion.

Polemisch, aber konkret formuliert: Es gibt die strukturelle Dominanz alter, weißer Männer™, die nie lernen konnten, dass es ganz schön cool sein kann, sich auf Menschen und Gedanken einzulassen, die jünger, bunter, vielfältiger und anders sind als die eigene Filterblase, und dass es bereichernd sein kann, nicht 30 lang Jahre alles „wie immer“ zu machen. Natürlich findet sich diese Haltung nicht nur bei weißen Menschen und auch nicht nur bei Männern. Es geht hier vielmehr um die strukturellen Machtverhältnisse, um die Homogenität unter den Entscheidungsträger*innen und um Institutionen, die ihre Arbeits- und Einstellungspraxis nicht hinterfragen. Dies alles erschwert nicht nur eine inklusive Öffnung, sondern befördert auch eine Weltsicht, die Digitalisierung als lästiges „Müssen-wir-das-halt-irgendwie-auch-(mit)machen“ empfinden und nicht als Chance, sich zu verändern.

Digitale Bildung braucht eben nicht (nur) ein Haufen Geld für funktionierende Technik und stabile Internetleitungen oder reine Technikschulungen. Zudem ist es ein Problem, wenn politische Bildner*innen versuchen, die aktuellen Herausforderungen allein mit Geld und Technik zu erschlagen. (Digitale) Bildung muss inklusiv und diversitätsorientiert sein. Alles andere ist Quark! Also lasst uns einfach mit dieser Haltung loslegen, uns ausprobieren und Bildung gestalten. Seien wir kreativ, aufgeschlossen und vor allem auch fehlerfreundlich mit uns und dem Prozess. Bildung ist ein Lernprozess, und das gilt eben auch für uns.


Zitation:
Meyer, Dana  & Wötzel-Herber, Henning (2021). „Wir machen einfach mal …!“ Auf der Achterbahn der Gefühle bei der Umsetzung und Ausweitung digitaler Bildungsformate, in: Journal für politische Bildung 1/2021, 44-46, DOI https://doi.org/10.46499/1669.1809.

Die Autor*innen

Dana Meyer ist Geschäftsführerin des ABC Bildungs- und Tagungszentrum e. V., aber auch spielaffine Hobbyfotografin, die es liebt, mit ihren Hunden an der Elbe spazieren zu gehen.

Henning Wötzel-Herber ist Jugendbildungsreferent und Pädagogischer Geschäftsführer im ABC, aber auch Filmemacher, Tänzer und Radfahrer.

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