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Über die Kunst, jenseits der Natur zu leben

Das Anthropozän ist nicht als Radikalversion des Nachhaltigkeitsdiskurses zu verstehen. Die Debatte wird didaktisch erst interessant, wenn man sie nicht als Stichwortgeberin für neue politische Agenden liest, sondern zum Anlass nimmt, grundlegend über die Form des In-der-Welt-Seins nachzudenken. Damit muss politische Bildung jenseits der Vermittlung von Fachkonzepten zum Thema gesellschaftliche Welt verstanden werden. Sie muss als Kunst des Herstellens gemeinsamer Weltverhältnisse entfaltet werden, die dabei auch die Exklusivität humaner Beziehungen übersteigt. 


Dystopien haben Konjunktur – angeheizt durch ein stetiges News-Stakkato: Nahezu täglich wird irgendwo auf der Welt irgendeine kritische Marke überschritten. Wir erleben in immer kürzeren Abständen Temperaturrekorde und Wetterextreme. Bilder von Waldbränden und Überflutungen, Plastikmüllbergen, abbrechenden Gletschern, sich ausbreitenden Wüsten, trockengefallenen Flüssen oder Klimaflüchtlingen dominieren alle Medienkanäle. In Hollywoodfilmen werden entsprechende Szenarien zugespitzt. Wir sehen die letzten Überlebenden in verlassenen Städten zwischen Ruinen um ihr Überleben kämpfen, Monsterwellen ganze Landstriche hinfortspülen oder neue invasive Arten, die zu zombiehaften Bedrohungen mutieren. Das unheilvolle Imaginäre einer untergehenden Welt greift um sich.

Im Dystopischen nichts Neues
Dabei sind die Szenarien keineswegs unbekannt. Schon Rahel Carson begann ihren Ökobestseller „Der Stumme Frühling“ aus dem Jahre 1962 mit der Vision einer sterbenden Landschaft. Zehn Jahre später stellte der Club of Rome in der prominenten Studie „Die Grenzen des Wachstums“ ein abruptes Massensterben in Aussicht, wenn kein radikaler Umbau der Gesellschaft erfolge. Seither ist zumindest in einigen Gesellschaften ein Anstieg des Umweltbewusstseins zu verzeichnen, das sich in unterschiedlichsten Maßnahmen widerspiegelt: von der Einführung des Umweltengels über die Verpflichtung zum Einbau von Schadstofffiltern bis hin zum Verbot der Plastikstrohhalme. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist aus Sicht der politischen Bildung der 2002 erfolgte Beschluss der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Jahre 2005 bis 2014 zur Weltdekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zu erklären.

Nun haben sich aber gerade in jüngster Zeit die Stimmen gemehrt, die gerade in der gesellschaftlichen Praxis der Nachhaltigkeit Züge einer „Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn 2020; vgl. auch seinen Beitrag in diesem Journal) ausmachen. Das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Lebensführung erlaubt es nämlich offenbar, einen „imperialen Lebensstil“ (Brand/Wissen 2017; vgl. auch den Beitrag von Inkermann/Eicker in diesem Journal) fortzusetzen. So fährt man in den Biomarkt mit dem Verbrennungsmotor, bucht mehr nachhaltige Reisen, baut neue Niedrigenergiehäuser und schafft sich Elektrofahrräder…

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Der Autor

Dr. Werner Friedrichs leitet die Didaktik der Sozialkunde an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zuvor forschte und lehrte er zu politikdidaktischen Grundfragen an der Leibniz Universität Hannover und der Universität Hamburg.

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