Rassismus ist in Deutschland Realität – sagen 90 % der Befragten

Das ist ein Ergebnis der Auftaktstudie des ersten Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa), der am 5. Mai 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Politik, Medien, Wissenschaft und Bevölkerung sind nach zahlreichen rassistisch motivierten Gewalttaten an aussagekräftigen Daten interessiert. Wie verbreitet ist Rassismus in Deutschland ist? Wie groß ist die Zahl der von Rassismus betroffenen? Wird Rassismus im Handeln von Institutionen sichtbar? Wie hoch ist die Bereitschaft, gegen rassistische Einstellungen und Verhaltensweisen einzutreten. Eine repräsentative Studie, für die über 5.000 Menschen in Deutschland befragt wurden, gibt Antworten auf diese Fragen.

Der Rassismusmonitor ist die bisher umfangreichste Auseinandersetzung mit dem Thema in Deutschland. Erstellt wurde er Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Er ist nicht nur eine weitere Studie zu einzelnen Phänomen von Rassismus, sondern künftig sollen jährlich Einstellungen in der Gesamtbevölkerung und Perspektiven Betroffener erfasst sowie Ausmaß, Ursachen und gesellschaftliche Folgen von Rassismus analysiert und Grundlagen geliefert werden, um Debatten zu versachlichen und wirksame Maßnahmen gegen Rassismus entwickeln und ergreifen zu können.

 

In der Studie wird darauf hingewiesen, dass es auch in der Wissenschaft keine einheitliche, allgemein akzeptierte Verwendung des Begriffs ‚Rassismus‘ gibt. Deshalb erläutern die Autor*innen „zentrale und breit geteilte Elemente eines sozialwissenschaftlichen Rassismusverständnisses“ (16), das für die Studie grundlegend ist. „Im Kern wird Rassismus als eine Ideologie sowie als eine diskursive und soziale Praxis verstanden, in der Menschen (1) aufgrund von äußerlichen Merkmalen in verschiedene Gruppen eingeteilt werden (Kategorisierung), denen (2) per ‚Abstammung‘ verallgemeinerte, verabsolutierte und unveränderliche Eigenschaften zugeschrieben werden (Generalisierung und Rassifizierung), die (3) bewertet und (zum Vorteil der eigenen Gruppe) mit sozialen Rangstufen verbunden werden (Hierarchisierung), womit ungleiche Behandlungen und gesellschaftliche Macht- und Dominanzstrukturen reproduziert und begründet werden (Legitimierung)“ (S. 16/17).


Weiter wird darauf hingewiesen, dass in der Forschung sowohl rassistische Vorurteile und Stereotypen gegenüber bestimmten Individuen und Gruppen als auch Rassismus als gesellschaftliches Machtverhältnis (‚struktureller Rassismus‘) analysiert werden. Betont wird, dass rassistische Ideologien und Praktiken sich nicht an einem biologistischen Verständnis festmachen müssen, denn die Forschung zeigt eine Verschiebung zu einem kulturell begründeten Rassismus (vgl. S. 17). So werden Gruppen „ein Set an Eigenschaften zugewiesen, die als nicht oder nur wenig veränderbar betrachtet, mit denen Individuen als bloße Vertreter*innen solcher vermeintlich homogenen Gruppen reduziert und diese Gruppen hierarchisiert werden“ (S. 17). Dieser Ansatz, der in der wissenschaftlichen Debatte auch als ‚Rassismus ohne Rassen‘ bezeichnet wird, ist die theoretische Grundlage des Monitors.

Zusätzlich verweisen die Autor*innen darauf, dass für die Diskussion in Deutschland weitere Faktoren von Bedeutung sind: „(1) der Nationalsozialismus und der Holocaust, (2) der deutsche Kolonialismus und (3) die Migrationsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (S. 18). In der Studie wurden sechs Gruppen fokussiert, deren Erfahrungen und Perspektiven als rassifizierte Minderheiten in den Monitor einfließen: a) Rassismus gegen Schwarze Menschen, b) Antisemitismus, c) Rassistische Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja, d) Antimuslimischer Rassismus, e) Antiasiatischer Rassismus und f) Antislawischer Rassismus.

 

Hier nun einige wesentliche Ergebnisse des Rassismusmonitors:

22 % der Befragten geben an, selbst schon einmal direkt von Rassismus betroffen gewesen zu sein. Mit Rassismus in Berührung kommen weitaus mehr Menschen, wenn indirekte Erfahrungen einbezogen werden. 49 % kennen eine Person, die von rassistischen Erfahrungen berichtet hat und 45 % haben schon einmal einen rassistischen Vorfall beobachtet. Nur 35 % äußern weder direkt oder indirekt mit Rassismus in Berührung gekommen zu sein.

 

Immer noch glauben 49 % der Befragten an die Existenz menschlicher Rassen, wobei deren Anteil bei den über 65-Jährigen mit 65 % besonders hoch ist. Der Anteil sinkt mit steigender Bildung. Weiterhin gehen 33 % der Befragten davon aus, dass bestimmte ethnische Gruppen oder Völker ‚von Natur aus fleißiger sind als andere‘ und 27 % sind überzeugt, dass ‚bestimmte Kulturen viel besser sind als andere‘. Zudem ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung der Auffassung, dass die Ungleichheit sozialer Gruppen legitim ist.

 

Wie bereits geschrieben sind 90 % der Ansicht, dass es in Deutschland Rassismus gibt. Rassismus wird als Alltagsphänomen betrachtet, das lebensweltliche Wirklichkeiten prägt. Außerdem wird von der Mehrheit der Bevölkerung davon ausgegangen, dass es institutionelle Formen von Rassismus gibt.

 

Ein großer Teil der Bevölkerung betrachtet Rassismus vor allem als Problem des rechten Randes der Gesellschaft. 60 % sind der Ansicht, dass Rassismus in erster Linie von Rechtsextremen ausgeht. Weiter meint ein großer Teil, dass mit Rassismusvorwürfen übertrieben wird. Z. B. sind 63 % der 45- bis 54-Jährigen der Meinung, es sei „Unsinn, dass normale Wörter jetzt rassistisch“ seien.

 

Hoffnungsvoll ist zu bewerten, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung sich bereits gegen Rassismus engagiert. 47 % geben an, schon einmal einer rassistischen Aussage im Alltag widersprochen zu haben. Ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung kann sich – je nach Form des Engagements – vorstellen, sich zu engagieren. Dieses Potenzial ist insbesondere bei jüngeren Altersgruppen und in höheren Bildungsgruppen deutlich ausgeprägt.

 

Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor liefert für die Auseinandersetzung mit Rassismus grundlegende, empirisch abgesicherte Erkenntnisse. Das Ausmaß, die Ursachen von Rassismus und die Erfahrungen rassifizierter Gruppen im Alltag, in Bildung und in Behörden werden sichtbar gemacht. Sie fordern zu engagiertem Handeln auf und tragen dazu bei, Konzepte und Praxis rassismuskritischer politischer Bildung zu begründen und weiterzuentwickeln.

 

Klaus Waldmann, leitender Redakteur des Journals

auf Grundlage der Studie: Rassistische Realitäten - Wie setzt sich Deutschland mit Rassismus auseinander. Download:

https://www.rassismusmonitor.de/studie-rassistische-realitaeten