Pulse of Europe: Wir müssen Europa lieben, um die EU zu retten – Warum es sich lohnt, für die europäische Idee einzustehen

Stephanie Hartung, LL.M., arbeitet seit 1997 als Rechtsanwältin und seit 2017 als Mediatorin in Frankfurt am Main. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Gewerblichen Rechtsschutz. Studium und Referendariat führten sie von der Goethe-Universität Frankfurt/M. über die Université de Genève und die London School of Economics and Political Sciences (LSE) an die University of Pennsylvania in Philadelphia.

Im Januar 2017 gehörte Stephanie Hartung zu den acht Gründungsmitgliedern der pro-europäischen Bürgerbewegung „Pulse of Europe“. Sie ist Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Pulse of Europe e.  V. mit Sitz in Frankfurt/M. und übt u. a. die Funktion der bundesweiten Pressesprecherin der Bürgerbewegung aus.

Das mit den Gefühlen für Europa und für die Europäische Union (EU) ist so eine Sache. Zum einen sind da die Freizügigkeit, das Reisen ohne Grenzkontrollen, die einheitliche Währung, und natürlich das Friedensbündnis. Das alles schätzen wir. Zum anderen sehen wir auch ein bürokratisches Monster – irgendwie angestaubt und offensichtlich reformbedürftig, weil schwerfällig und bürgerfern. Im täglichen Leben gibt es nur wenige Berührungspunkte mit dem politischen Alltag in Brüssel.

Lediglich alle fünf Jahre haben wir die Möglichkeit, ein Europäisches Parlament, also unsere Interessenvertretung auf europäischer Ebene, zu bestimmen. Das setzt natürlich voraus, dass wir von unserem Wahlrecht auch Gebrauch machen – was zuletzt nur bei 43 % aller Europäer/-innen der Fall war. Auch in Deutschland, das sich zweifelsohne als Gewinner der Europäischen Gemeinschaft bezeichnen darf, erleben wir die EU als etwas mehr oder weniger Selbstverständliches, mit allen Vor- und Nachteilen, aber noch stellt man ihre Existenz zumindest mehrheitlich nicht grundsätzlich in Frage.


Nach dem Brexit fühlt sich die britische Jugend um ihre Zukunft betrogen



Dass dem nicht überall so ist und dass auch eine bisweilen lethargische Selbstverständlichkeit sich im Nachhinein als trügerische Ruhe vor dem Sturm entpuppen kann, dürfte allen spätestens seit dem Brexit-Referendum von Juni 2016 bewusst sein. Die Briten entschieden sich damals mit einer äußerst knappen Mehrheit meist älterer Wähler/-innen für einen Austritt aus der EU, während die britische Jugend von ihrem Wahlrecht nur spärlich Gebrauch machte, sich aber nun um ihre Zukunft betrogen fühlt.

Anfang 2017 dann die Angst um den Ausgang der Parlamentswahlen in den Niederlanden und die Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Rechtspopulistische Kräfte proklamierten den Austritt aus der EU und hätten durch einen Nexit und/oder Frexit der Europäischen Union möglicherweise bereits den Todesstoß versetzt. Dass es anders kam, ist sehr zu begrüßen, aber zunächst nur ein Gewinn an Zeit. Denn etwa in Mittel- und Osteuropa schreitet der Abbau demokratischer Grundwerte täglich voran und ein Ende ist derzeit nicht absehbar. Und in Deutschland beklagen die großen Volksparteien historische Verluste zugunsten der Stärkung politischer Kräfte am rechten Rand, die sich gegen die europäische Idee stellen und einen Austritt aus der EU grundsätzlich befürworten.

Als Bürgerbewegung Pulse of Europe haben wir bereits im November 2016 entschieden, diesen Entwicklungen nicht länger tatenlos zuschauen zu wollen, sondern ein klares Zeichen für die EU und für den Erhalt demokratischer Grundwerte in der EU zu setzen. Wir appellieren an die europäische Zivilgemeinschaft, dass wir an einem historischen Wendepunkt angekommen sind und dringend handeln müssen, wenn wir nicht weitere EU-Mitgliedsstaaten verlieren und damit den Fortbestand der Gemeinschaft als Ganzes riskieren wollen.

Natürlich braucht es jetzt vor allen Dingen einen tiefgreifenden Reformprozess, um die EU in die Lage zu versetzen, globale Themen wie die Finanzkrise, die anhaltende Migration oder den Ausbau einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt bewältigen zu können. An diesem Reformprozess wird Pulse of Europe etwa durch die Entwicklung und Umsetzung von sogenannten „HausParlamenten“ zu europäischen Fragestellungen aktiv teilhaben und so den Dialog zwischen Politik und Bürgerschaft auch künftig unmittelbar befördern. Es ist aber zugleich abzusehen, dass die notwendigen Reformen allen EU-Mitgliedsstaaten Kompromisse und Zugeständnisse abverlangen werden und es zum Gelingen dieser Reformen folglich auch einer starken emotionalen Bindung der Bürger/-innen braucht, sowohl zueinander als auch zur EU selbst.


„Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“ Jacques Delors, Präsident der Europäischen Kommission 1985 – 1995



Jacques Delors, langjähriger Präsident der EU-Kommission und Verfechter der europäischen Integration, hat schon 1989 erkannt, dass sich niemand in einen großen Binnenmarkt verlieben werde, dass die europäischen Bürger/-innen die eigentlichen Baumeister Europas seien und es hierzu eines starken Zusammengehörigkeitsgefühls innerhalb der EU bedürfe. Fast drei Jahrzehnte später setzt sich Pulse of Europe dafür ein, dass wir uns den schwierigen Zukunftsfragen der Europäischen Union eben auch emotional nähern, damit die Menschen sich wieder für die europäische Idee begeistern und erkennen, dass das Friedensbündnis der EU letztlich alternativlos ist. Dann können auch notwendige Reformen gelingen und die Weichen für ein modernes Europäisches Friedensbündnis mit Erfolg gestellt werden.


Zum Gelingen Europas braucht es eine starke emotionale Bindung der Bürger/-innen – zueinander und zur EU



Mit meinem Engagement bei Pulse of Europe möchte ich einen persönlichen Beitrag dazu leisten, dass der „europäische Pulsschlag“ wieder hörbar und sichtbar wird, und es sich die Bürger/-innen in der EU – allen nationalistischen und rechtspopulistischen Strömungen zum Trotz – nicht nehmen lassen werden, der Europäischen Gemeinschaft mehrheitlich eine Chance auf eine bessere Zukunft in reformierten Strukturen einzuräumen. 


Deutschland & Europa, Die Zukunft der Europäischen Union. Rückbau oder Vertiefung? Stuttgart (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Würt­temberg) 2017, 76 S., 3 € oder zum kostenlosen Download unter www.deutschlandundeuropa.de

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen der Römischen Verträge 2017 diskutierte das Europäische Parlament intensiv und öffentlich über die Zukunft der Europäischen Union. Die Europäische Kommission gab dazu schließlich ein Weißbuch heraus, in dem gleich fünf Szenarien für die Zukunft der EU skizziert wurden.

Politische Beobachter werteten dies als erneutes Zeichen für die Uneinigkeit innerhalb der Europäischen Union. Und in der Tat mehren sich innerhalb der EU seit dem Brexit sowohl jene Stimmen, die auf einen Rückbau der Gemeinschaft drängen, als auch jene Stimmen, die darin eine Chance zur Vertiefung der restlichen Union sehen. Insbesondere die Visegrád-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) warnen vor weiteren Integrationsschritten, während aus Mittel- und Südeuropa Stimmen laut werden, jetzt könnte sich die EU auch zur Wirtschafts-, Verteidigungs- oder gar Sozialunion weiterentwickeln. Aber auch in diesen Staaten erstarken gerade EU-kritische Stimmen und rechtspopulistische Parteien.

Auch wenn die Europäische Kommission gleich fünf Szenarien vorgelegt hat, wird deutlich, dass die Mehrheit im Europäischen Parlament und auch die Bundesregierung nun offen darüber nachdenkt, ein Europa der „zwei Geschwindigkeiten“ stärker ins Auge zu fassen, da nicht alle Mitgliedstaaten derzeit zu weiteren Integrationsschritten bereit sind.

Die Zeitschrift Deutschland & Europa nimmt diese Diskussion auf und wirft einen kritischen Blick auf den derzeitigen Zustand der EU. Sie möchte dazu beitragen, dass, auch angesichts der aktuellen Situation in den USA, in Russland oder der Türkei, mit sachlichen Argumenten über die Vor- und Nachteile dieser einmaligen Errungenschaft der Nachkriegszeit in der Öffentlichkeit und in der politischen Bildung diskutiert werden kann.

Zitation:
Hartung, Stephanie (2018). Pulse of Europe: Wir müssen Europa lieben, um die EU zu retten. Warum es sich lohnt, für die europäische Idee einzustehen, in: Journal für politische Bildung 2/2018, 40-43.

Die Autorin

Im Januar 2017 gehörte Stephanie Hartung zu den acht Gründungsmitgliedern der pro-europäischen Bürgerbewegung „Pulse of Europe“. Sie ist Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Pulse of Europe e.  V. mit Sitz in Frankfurt/M. und übt u. a. die Funktion der bundesweiten Pressesprecherin der Bürgerbewegung aus.

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