Politikwissenschaft und politische Bildung
Felix Ludwig: Prediger der Demokratie. Die Deutsche Hochschule für Politik und die politische Bildung in West-Berlin (1949–1972/74), Berlin (Gebr. Mann Verlag) 2023, 69 € (als kostenloses E-Book beim Bundesarchiv zugänglich).
Die erst nach 1945 an deutschen Universitäten etablierte Politikwissenschaft hat die Entwicklung der politischen Bildung innerhalb und außerhalb der Schule maßgeblich beeinflusst. Die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Felder und Fächer in der frühen Geschichte der Bundesrepublik bis in die 1980er-Jahre, ist in der Geschichtsschreibung zur politischen Bildung hinreichend gut aufgearbeitet. Nun hat Felix Ludwig eine weitere wichtige und aufgrund der dafür bearbeiteten Archivmaterialien äußerst gründliche Studie zum Thema vorgelegt. Was vor dem Hintergrund des Titels zunächst als regionale Studie der institutionellen Zeitgeschichte erscheint, entpuppt sich als äußerst ertragreiche Darstellung der frühen Geschichte der politischen Bildung in Deutschland.
So liefert die Studie eine Beschreibung von Netzwerken engagierter Männer des Widerstands und aus dem Exil zurückgekehrter Wissenschaftler zur (politischen) Kultur der frühen Bundesrepublik. Die gemeinschaftlichen Anstrengungen dieser Männer waren vor allem darauf ausgerichtet, eine antitotalitäre und plurale Demokratie zu schaffen. Wie sich die Dinge auch durch glückliche Fügungen entwickelt haben, lässt sich am besten an der Person Otto Suhrs ablesen, der 1955 regierender Bürgermeister von Berlin wurde und vorher Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) war. Diese aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg bekannte und nun in Berlin wiederbelebte Einrichtung der politischen Erwachsenenbildung wurde 1959 als Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaften (OSI) in die Freie Universität eingegliedert. Für die Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland ist sie von herausragender Bedeutung.
Mit Theodor Heuss, der 1949 erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland wurde und in den 1920/30er-Jahren als Studienleiter und im Vorstand der DHfP arbeitete, reichten die Sympathiewerte für die DHfP bis in höchste politische Kreise.
Der Titel der Arbeit „Prediger der Demokratie“ klingt zunächst etwas befremdlich in säkularen Zeiten. Aber er ist genau so zu verstehen, wie er im ersten Moment wirkt, denn: „Demokratisierung war für die Berliner Politologen gleichbedeutend mit Missionierung“ (10). Anders formuliert war die „Übersetzung demokratietheoretischer Ideen in die Praxis politischer Bildung […] mithin ein immanenter Bestandteil des Projekts“ (11) Dieser Zusammenhang ist in der Geschichtsschreibung unumstritten, obwohl es durchaus hitzige Debatten über die Gründungsväter der neuen, sich selbst als Demokratiewissenschaft verstehenden Politikwissenschaft gibt (106 ff.).
Die Geschichte der DHfP zeigt, dass Missionierung und Demokratisierung keineswegs Selbstläufer waren. Schnell wurde deutlich, dass die zunächst auf…
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Der Rezensent
Benedikt Widmaier war bis zu dessen Schließung 2022 Direktor des Hauses am Maiberg. Er engagiert sich in vielfältiger Weise für die non-formale politische Bildung und ist Mitglied der JOURNAL-Redaktion