Nachbetrachtungen zur EM
Sportliche Großereignisse können immer wieder Massen – und dabei vor allem auch junge Leute – in ihren Bann ziehen. Diese Beobachtung und Erkenntnis sind trivial. Neben dem Sport ist es vor allem Musik, die beide als medial und kulturell inszenierte Ereignisse in der Lage sind, Stadien, Hallen und Plätze zu füllen. Beide Eventkulturphänomene gehen quer durch die Gesellschaften und sind weltweit ausgeprägt. Sie sind mit kommerziellen Interessen und großen Geldsummen (hohen Eintrittspreisen und Geschäften mit Karten für die Spiele und Konzerte) verbunden, können begeistern, laden zur Teilnahme ein und sind vorübergehende Identifikationsangebote und Themenzentren in der gesellschaftlichen Kommunikation. Sie binden Gefühlswelten und Stimmungen, sind eine Ablenkung und Ausnahmesituation von der „normalen Alltagswelt“. Fußball ist wie kaum ein anderer Sport in der Lage jenseits von Schicht und Klasse Affekte zu binden und Leidenschaften in mehr oder weniger zivilisierte Bahnen zu lenken.
Und die sportlichen Großereignisse sind – auch das ist trivial – in die jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse, Krisen und Spannungen eingebunden. Fußball ist Teil des Weltgeschehens, und dabei bildet der Sport resp. der Fußball nicht politische Diskurse ab, sondern er ist eine Form, in der sie verhandelt werden. Mit den Erfolgen rechtspopulistischer/-extremer Parteien und nationalistischer Stimmungen in vielen Ländern verwundert es nicht, dass diese auch in die Stadien und auf den Platz schwappen.
Diese Dimensionen haben die EM 2024 in Deutschland eindrucksvoll bestätigt. Die Public Viewing-Angebote und eigens eingerichteten Fan-Zonen in den Städten waren „randvoll“, in und aus allen Kneipen wurden die Spiele übertragen und die Zuschauerquote erreichte Rekordwerte.
Vier Eindrücke
Blickt man auf die EM zurück, dann sind es vor allem vier Eindrücke, die bleiben: eine positiv gelebte Gefühlswelt, der ausgelebte Nationalismus, der Opfermythos und das Kollektiv als Akteur.
Positive Gefühlswelt
Affektive Phänomene sind sowohl die empfundenen Gefühle als auch die damit verbundenen körperlichen Prozesse. Bei der WM wurden diese kollektiv und an die jeweiligen Nationalmannschaften gebunden und in Situationen der Freude am Spiel, den Spielzügen, den Pässen und Toren ausgelebt; oder aber man war verärgert über Nicht-Gelungenes und Niederlagen. Mit den Treffen und Feiern auf öffentlichen Plätzen, dem Durchstreifen der Stadt, dem Outfit und der Kleidung, den körperlichen Gesten und Bemalungen, den Gesängen, dem Anfeuern und sprachlichem Mitgehen in und außerhalb der Stadien – so beim Public Viewing – hat der Körper mit agiert.
Die Gefühlswelt ist hier ohne körperliche Ausdrucksformen nicht zu denken, die sich u. a. als nackter Oberkörper, angemalt und verkleidet zeigte. Gefühle und Körper begeben sich vorübergehend und mit einem Rauscherlebnis verbunden in eine…
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Der Autor
Benno Hafeneger lehrte und forscht an der Philipps-Universität Marburg zu Jugend und außerschulischer Jugendbildung und ist Mitglied der JOURNAL-Redaktion.