„Fakten statt Populismus“ goes online

Die Corona-Krise traf den gewerkschaftlichen Bildungsbereich genauso hart wie die anderen Lebensbereiche. Bildungszentren mussten schließen, Seminare und Schulungen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben oder ganz abgesagt. Der „klassische“ Bildungsbereich mit Präsenzveranstaltungen war praktisch „lahmgelegt“. 

Der abrupte Umstieg von Präsenzveranstaltungen auf digitale Angebote stellte uns vor zahlreiche Herausforderungen, zumal der Ausbau digitaler Bildungsangebote innerhalb der Gewerkschaften lediglich mittelfristig geplant war. Welche Hürden wir zu überwinden hatten, möchten wir nachfolgend am Beispiel des ganztägigen Bildungsprojekttags „Fakten statt Populismus“ von ver.di GewerkschaftsPolitische Bildung gGmbH erläutern, den wir binnen drei Wochen digitalisiert, in Testgruppen erprobt und letztlich am Uniklinikum Leipzig als E-Learning-Bildungsangebot etabliert haben.

Gerade grundsätzliche Abwägungen des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses im Bereich der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung sowie Überlegungen zum Einsatz digitaler Technik beschäftigten uns in der Erprobungsphase. Wie sollte es außerhalb von Präsenzveranstaltungen gelingen, die individuelle und kollektive Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit sowie die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft zu erweitern?

Ein subjektorientierter Lern-/Lehransatz
Unsere Bildungsarbeit geht von einem subjektorientieren Lern-/Lehransatz aus. Damit sie im digitalen Raum die angeführten Leitziele überhaupt erreichen kann, mussten technische und organisatorische Voraussetzungen geschaffen werden, die den didaktisch-methodischen Anforderungen der gewerkschaftlichen Bildung gerecht werden. Zentrale Kriterien und Anforderungen für uns sind dabei, durch Datenschutz die informationelle Selbstbestimmung zu stärken, Grundrechts- und DSGVO-konform zu agieren sowie IT-sicher und transparent Mitbestimmung in der Datenweitergabe zu gestalten. Andererseits geht es natürlich auch um ein faires und nachvollziehbares Finanzierungsmodell, das von Lock-In-Effekten Abstand hält und auf Gemeinwohl statt Monopole setzt, die im besten Fall gleichzeitig Aspekte der Nachhaltigkeit einschließen und allen zugänglich sind. Letzteres legte eine Browser-basierte Lösung nahe.

Im Zentrum unserer digitalen Bildung soll Austausch und gemeinsames Lernen über Videokonferenzsysteme stehen. Dabei folgen die Methoden und die Wahl ihrer technischen Ausgestaltung den Inhalten und nicht umgekehrt. Hier gilt es, Tools sparsam zu verwenden, da bereits das Lernen über ein Videokonferenzsystem häufig eine neue Lernerfahrung darstellt. Die Systeme sollten eine einfache Handhabung ermöglichen, schnell zu erlernen und intuitiv bedienbar sein. Bei allen sich uns bietenden Optionen wurde schnell deutlich, dass es sich zunächst um eine Übergangslösung handeln muss, da jede Videosoftware oder das Bereitstellen asynchroner Lerninhalte in allen Kriterien und Anforderungen einen Kompromiss erforderten. Dieser Kompromiss war jedoch angesichts der Herausforderungen der Corona-Pandemie dringend geboten.

Die Entwicklung des Online-Angebots
Unser Bildungsprojekt „Fakten statt Populismus“ (vgl. Journal 2/2019, S. 62 f.) ist ein bewährtes Seminarangebot, das von 2017 bis 2019 über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert wurde und die Teilnehmer*innen zu Flucht, Asyl und Integration informiert sowie zum Austausch einlädt. Wir wurden 2020 von der Hesselbach-Stiftung unterstützt und hatten zahlreiche Präsenzveranstaltungen mit unseren Koopera­tions­partner*innen geplant, die im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie jedoch zeitweise „auf Eis gelegt“ oder auf das kommende Jahr verschoben wurden. Wir freuten uns sehr, als uns inmitten der Corona-Pandemie die Anfrage einiger Betriebe nach einer digitalen Umsetzung erreichte. Doch wie sollte es gelingen, einen Berufsschultag mit inte­griertem Empathie-Training dezentral und ohne persönliches Kennenlernen umzusetzen? Im Vordergrund stand also unser subjektorientierter Bildungsansatz und seine technische Vermittlung. In didaktischer Hinsicht bezogen wir uns auf das Blended Learning, um unsere Erfahrungen aus den über 250 Präsenzveranstaltungen mit den Angeboten des E-Learning sinnvoll verbinden zu können. Die konzipierten Bildungsmodule dauerten planmäßig zwischen 90 und 120 Minuten, unserer Auffassung nach die Maximal-Dauer eines Online­angebotes. Neben je einem inhaltlichen Modul zu Flucht, Asyl und Integration entwickelten wir ein technisch-organisatorisches Modul zur Anmeldung in der Videokonferenz und zur Lösung von technischen Hürden. Da die Proband*innen der ersten Testgruppen „Digital Natives“, also vorwiegend junge Menschen zwischen 16 und 30, waren, nahmen wir an, der Zugang sowie der Umgang mit digitalen Angeboten würden keine Hürde darstellen. Ein Irrtum!

Zuallererst mussten wir im Zuge unserer Seminarplanungen feststellen, dass 90- oder gar 120-minütige Bildungsmodule für viele Betriebe und Dienststellen nicht umsetzbar, weil nicht abrechenbar sind und deshalb nicht gebucht werden können. Zugleich stand somit fest, dass wir am Vortag eines Seminars das 60- bis 90-minütige Modul zur Lösung potenzieller technischer Hürden nicht durchführen, geschweige denn einen ersten Arbeitsauftrag oder einen inhaltlichen Einstieg für den folgenden Tag gestalten konnten. Das muss alles an einem Tag geschehen.

Zunächst einmal benötigt das technische Onboarding eine niedrigschwellige Schritt-für-Schritt-Anleitung. Es ist vergleichbar mit den klaren Anfahrtsbeschreibungen zu unseren Bildungshäusern. Hier gilt es sicherzustellen, dass die Teilnehmenden zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und wissen, wie sie sich verhalten sollen, wenn der Abholdienst mal ausfällt. Die Teilnehmer*innen bekamen daher von uns eine Woche im Voraus eine Anleitung mit Screenshots zum Einwahlprozess in BigBlueButton sowie allen anderen von uns erwarteten oder später erfahrenen Hürden. Durch die Anpassung dieser Anleitung konnten wir die Einwahlzeit von 60 Minuten auf durchschnittlich 15 Minuten reduzieren.

Auch haben wir unsere Bildungsmodule so umgestellt, dass sie nicht länger als 90 Minuten dauern. Jedes Modul endet mit einem Arbeitsauftrag, der in Kleingruppen in einer zweistündigen Arbeitsphase inklusive einer Pause erarbeitet wurde. Damit wir als Teamer*innen den Arbeitsstand begleiten und ggf. Hilfestellung geben können, werden alle Aufgaben in einem gemeinsamen Online-Dokument erarbeitet. So konnte jede*r Teilnehmende die Entwicklung der Arbeitsergebnisse sehen und Ideen für die eigene Recherche sammeln.

Unsere Erfahrungen
Die Visualisierung und Dokumentation des Lehr-/Lernprozesses bildet auch im digitalen Seminar ein Kernstück. Hier ist es möglich, vielfältige Lernkanäle anzusprechen und den Austausch zu fördern. Wichtig dabei ist, dass die Teilnehmenden die Veränderungen in der „digitalen Wandzeitung“ aktiv nachverfolgen können. Hier setzten wir auf die Online-Programme MIRO und PADLET. Dabei haben wir im Laufe der Zeit lernen müssen, dass es für eintägige Module besser funktioniert, wenn wir im Präsentationsmodus arbeiten, der von Board zu Board führt und ein Verzetteln erschwert.

Unsere Didaktik setzte auf spielerische Methoden, wie Kahoot (spielbasierte Lernplattform), und multimediale Angebote von kleinen H5P- (Software) und YouTube-Clips zu Alltagsrassismus, welche wir gemeinsam auswerteten und als Überleitung zwischen Themen nutzten.

Abschließend haben wir mittels eines Google Forms einen Feedback-Bogen erstellt, der es ermöglichte, anonym eine Rückmeldung zu unserem E-Learning-Angebot zu geben. Die Tipps, Hinweise und Änderungswünsche haben wir genutzt, um unser Seminar an die Bedarfe der Teilnehmer*innen anzupassen.

Mit diesen konzeptionellen Änderungen war es uns möglich, unsere Inhalte aus dem analogen Präsenzseminar in das E-Learning-Angebot zu übertragen. Zur Sicherung der Arbeitsergebnisse haben wir die Arbeitsstände per Screenshot festgehalten und in ein Protokoll überführt. Zusammen mit unserem PDF Argumente gegen Menschenfeindlichkeit haben wir so ein „Paket“ geschnürt, das die Teilnehmer*innen motiviert, menschenfeindlichen Aussagen im Beruf sowie im Privaten entgegenzutreten.

Woran wir kurzfristig nichts ändern können, waren die technischen Fähigkeiten sowie Rahmenbedingungen unserer Teilnehmenden. Bei der Konzeption sind wir – irrtümlich, wie sich herausstellen sollte – von der Verfügbarkeit digitaler Endgeräte für den Arbeitseinsatz in jedem Haushalt und von grundlegenden digitalen Kompetenzen ausgegangen. Gerade junge Menschen investieren ihre Ausbildungsvergütung offensichtlich jedoch lieber in ein neues Smartphone statt in einen PC. Da die digitalen Tools jedoch nicht alle für die Nutzung durch Smartphones ausgelegt sind und ein Arbeiten am Smartphone über einen ganzen Tag auch nicht zu empfehlen ist, standen wir vor einer didaktischen Hürde, die wir lediglich hilfsweise über bewusster gestaltete Beschreibungen der Bilder und Screens sowie verstärkte sprachliche Anleitung lösen konnten. Weiterhin waren überraschend viele von ihrem Gerät überfordert. Bereits grundlegende Dinge wie die Einstellung der Lautstärke oder das Öffnen eines Links mussten erläutert werden. Die überwiegende Mehrheit hatte glücklicherweise jedoch keine technischen Probleme und konnte uns problemlos folgen. Hier und auch bei technischen Hürden war unser Bonus, in einem Team mit klaren Zuständigkeiten zu arbeiten, so dass immer eine Person die technischen Belange klären konnte, während die andere den Inhalt fokussierte. Bei den Auswertungsgesprächen mit Betrieben und Dienststellen haben wir über mögliche Lösungen zur Verfügbarkeit digitaler Endgeräte diskutiert, sind jedoch zu keinem zufriedenstellenden Schluss gekommen, da die Arbeitgeber*innen nicht allen Mitarbeiter*innen ein Endgerät zu Verfügung stellen können und auch ebensowenig die Ressourcen haben, diese entsprechend zu qualifizieren. Gerade hier sehen wir nach unseren Erfahrungen akuten Handlungsbedarf.


Zitation:
Merkel, Anna; Drobny, Markus & Michelbrink, Andreas (2021). „Fakten statt Populismus“ goes online. Vom Präsenzseminar zum E-Learning-Angebot, in: Journal für politische Bildung 1/2021, 47-49, DOI https://doi.org/10.46499/1669.1810.

Die Autor*innen

Anna Merkel ist freie Trainerin und politische Bildnerin. Sie berät das Projekt Fakten statt Populismus bei der digitalen Umsetzung.

Marcus Drobny (ver.di GPB) ist Projektleiter von Fakten statt Populismus in Leipzig.

Andreas Michelbrink ist Geschäftsführer von ver.di GPB und für die politische Bildung in ver.di zuständig.

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