Eine neue Jugendbewegung

Sebastian Haunss/Moritz Sommer (Hg.): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung. Bielefeld (transcript) 2020, 260 S., 22,00 €


Im Dezember 2015, vor mehr als fünf Jahren, wurde das Pariser Klimaabkommen geschlossen, dessen Ziele und Vereinbarungen bislang kaum umgesetzt wurden. Dazu positioniert sich auch immer wieder die seit 2018 bestehende Klimabewegung Fridays for Future (FFF), bei der u. a. Schüler*innen in freitags stattfindenden Demonstrationen für das Klima auf die Straße gehen. In dem vorliegenden Sammelband werden unterschiedliche Perspektiven auf die FFF-Bewegung – teils anhand empirischer Zugänge – in den Blick genommen und diskutiert: Befragungen bei Demonstrationen, Organisationspraxis, Selbstverständnis, historische Einordnungen, Bedeutung gesellschaftlichen Rückhalts und aktuelle Herausforderungen. In dieser Rezension werden grundlegende Diskurse in den Blick genommen.

Die Kapitel 2, 3 und 10 thematisieren anhand von Befragungen bei Demonstrationen über einen Zeitverlauf u. a. das Sozialprofil und die politischen Orientierungen der Beteiligten/Unterstützenden, Zugänge zu der Bewegung und die Rolle Greta Thunbergs. In Kapitel 3 wird dies aus international vergleichender Perspektive ergänzt. Deutlich wird (auch im internationalen Vergleich): Die Beteiligten – häufig junge Frauen – verfügen im Durchschnitt über hohe Bildungsabschlüsse, verorten sich insbesondere im linken politischen Spektrum und haben ein eher geringes Vertrauen in nationale politische Institutionen. Über den zeitlichen Verlauf wird eine stärkere Etablierung der Bewegung deutlich, eine zunehmende Heterogenität der Beteiligten, die Abnahme des konkreten Einflusses von Greta Thunberg auf die individuelle Beteiligung, die politisierende Wirkung sowie intrinsische Motivation seitens der Jugendlichen. „Fridays for Future politisiert und mobilisiert somit auch junge Menschen, die bisher wenig mit Politik zu tun hatten“ (59). Zudem zeigt sich in Kapitel 10, dass die Unterstützung der Klimabewegung mit der Zustimmung zur CO2-Steuer und dem Wandel zu einem klimaneutralen Lebensstil einhergehen, sich hier aber auch Heterogenität innerhalb der Unterstützer*innen zeigt.

Anknüpfend an die Ergebnisse der Demonstrationsbefragungen analysieren Dieter Rucht und Dieter Rink in Kapitel 4 Diskurse der Mobilisierungsprozesse. Die FFF-Bewegung wird dabei im Zusammenhang der Sozialdimension des Schulstreiks und der damit verbundenen gesellschaftlichen Debatten um Schulpflicht diskutiert. Dabei zeigt sich die Bewegung entgegen gesellschaftlicher Zuschreibungen als ein Ort, an dem bestimmte Problemlagen auf die Agenda gesetzt werden und eine kollektive Identität (gemeinsame Demos, Gruppendiskussionen, „Verhaltenskodex“) sichtbar wird. Deutlich wird ihre „doppelte Legitimation“ (104): Die kritischen Stimmen der Jugendlichen verschaffen Sichtbarkeit und ermöglichen, das Klimathema aufgrund der moralischen Verpflichtung nicht eingelöster Versprechen nicht als ein Thema von „Profis“ zu verstehen. Ergänzend dazu wird in Kapitel 6 die Bewegung in die historischen Bezüge und Charakteristika des Schulstreiks sowie das vorliegende Bildungsverständnis der Schule mit Blick auf das „Schulschwänzen“ kritisch eingeordnet. Simon Teune hebt dabei für FFF hervor: „Die Schulstreiks zeigen, wie Bildungsprozesse eigenläufig funktionieren“ (132). Kapitel 11 ordnet die Bewegung ergänzend in theoretische Perspektiven um Generation ein.

Die Bewegung wird in Kapitel 5 und 7 anhand von Beobachtungen und Befragungen an zwei Standorten ergänzend zu den statistischen Daten qualitativ analysiert. Der Ablauf der Kundgebungen und die Reaktion verschiedener Akteur*innen werden differenziert nachgezeichnet und verdeutlichen dabei Charakteristika der Bewegung sowie u. a. die Rolle der Schule und Eltern, die Reaktionen von Passant*innen, das Interesse an Politik und die Verbindung zu anderen Organisationen. Ergänzend dazu werden in Kapitel 7 organisationsbezogene Aspekte wie Struktur, Entscheidungsprozesse, Kommunikations- und Lernprozesse innerhalb von zwei Organisationsgruppen hervorgehoben.

Kapitel 8 und 9 fokussieren den Blick von außen auf die Bewegung, einerseits durch Interviews mit drei weiteren NGOs der Klimabewegung und andererseits durch die Medien. Dabei wird sichtbar, dass die NGOs der Bewegung insgesamt sehr positiv gegenüberstehen und durch gemeinsame Ziele und die Generierung von Aufmerksamkeit für den Klimawandel durch FFF unterschiedlich große Verbindungspunkte aufweisen. Bedeutend ist dabei zudem die Distanz, um die Eigenständigkeit der Bewegung zu bewahren und unterschiedliche Strategien bzw. Organisationsformen erkennbar zu machen. Die Analyse der Medien­berichterstattung über FFF zeigt zudem: „Die Beziehung zwischen Medien und sozialen Bewegungen lässt sich als asymmetrisch bezeichnen“ (184). Dadurch werden oftmals Themen, die bestimmte Konflikte in sich bergen, auf die mediale Agenda gesetzt. Das führte bei FFF dazu, dass insbesondere die äußere Form des Protests und weniger inhaltliche Argumentationen zum Ausgangspunkt gemacht wurden. Zudem veranschaulicht der Vergleich verschiedener Medien die unterschiedlichen Perspektiven auf die Bewegung und das Aufgreifen verschiedener in der Klimabewegung verwendeter Frames. Kapitel 12 richtet resümierend den Blick in die Zukunft und verbindet die Merkmale der Bewegung mit aktuellen Herausforderungen, zum Beispiel der Corona-Pandemie oder der Diversifizierung der Bewegung.

Insgesamt zeigt der Band unterschiedliche Blickwinkel auf die FFF-Bewegung und erörtert kritische Perspektiven sowie damit einhergehende Diskurse seitens der Gesellschaft und verschiedener Akteur*innen. Insbesondere die pointierten Einzelbeiträge ermöglichen unterschiedliche Zugriffe, die sich nicht in einseitigen Diskursen und Zuschreibungen ergehen, sondern vielfältige Elemente, Charakteristika und Perspektiven der Bewegung in den Blick nehmen. Sichtbar wird die Einbindung der Bewegung in unterschiedliche Kontexte wie u. a. Politik, Medien, Gesellschaft, Organisationsstruktur, Bildungsverständnis, Generation, welche differenzierte Blickwinkel auf den Protest als „Schule der Demokratie“ (132) ermöglicht. Der Band eröffnet dabei Anknüpfungspunkte an verschiedene Fragestellungen politischer Bildung, u. a.: Zugänge zu und Ausschluss von politischer Teilhabe; Thematisierung verschiedener gesellschaftlicher Debatten, Perspektiven auf Kinder/Jugendliche und das Bildungsverständnis (Adultismus, Schulpflicht, Protest als Schule der Demokratie); Verhältnis zwischen NGOs, sozialen Bewegungen und politischer Bildung sowie Perspektiven politischer Medienbildung.


Zitation:
Opheys, Catrin (2021). Eine neue Jugendbewegung. Rezension zu: Sebastian Haunss/Moritz Sommer (Hg.): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung, in: Journal für politische Bildung 2/2021, 66-67.

Die Autorin

Catrin Opheys, BA Erziehungswissenschaft, MA Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Stipendiatin am Fachgebiet Erwachsenenbildung/Politische Bildung der Universität Duisburg-Essen.

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