Position klären und Handlungssicherheit gewinnen

Katrin Haase/Gesine Nebe/Matthias Zaft (Hg.): Rechtspopulismus – Verunsicherungen in der Sozialen Arbeit. Weinheim (Beltz Juventa) 2020, 227 S., 29,95 €


Die Gesamtwertung vorweg: Es ist ein gelungenes und wichtiges Buch über den Suchprozess und die Herausforderungen im breiten Feld der Sozialen Arbeit. Mit „Verunsicherungen“ verweist der Titel auf den Klärungsbedarf und die Reflexionsnotwendigkeit, wie Soziale Arbeit – und damit auch die Jugendarbeit und -bildung – mit Rechtspopulismus konfrontiert ist und wie sie mit den Phänomenen umgehen soll und kann.

In zwölf Beiträgen, die nach ausführlichen „Denkaufschlüssen“ zu Beginn zum Thema hinführen, wird von 17 Autor*innen in sechs Abschnitten facettenreich dargelegt, was Rechtspopulismus für die fachlich-politischen „Selbstverständnisse und Selbstverständlichkeiten“ (26) der Disziplin und der Profession sowie die gesellschaftliche Verwobenheit von Sozialer Arbeit bedeutet. Dabei wird, mit vielen Hinweisen und Studien belegt, konstatiert, dass eine menschenrechtsbasierte und diversitätsbetonte sowie demokratiepolitisch engagierte Soziale Arbeit zunehmend Verunglimpfungen, Anfeindungen und Angriffen der Rechten öffentlich und in Parlamenten durch die AfD ausgesetzt ist.

Die ersten beiden Beiträge geben „auto-ethnographische Einsichten“ und zeigen am Beispiel einer privat-biografischen Episode und einer Teamsitzung im Feld der Mobilen Jugendarbeit die Suchprozesse im Umgang mit rechtspopulistischen Äußerungen und Verhaltensweisen. Dabei zentriert Michael Janowitz seine Reflexionen auf die Notwendigkeit, eine professionelle Haltung zu finden, mit Verunsicherung – verstanden als multiple Prekarität – und Ambivalenzen umzugehen sowie im Kontext von „Arbeitsbündnissen“ Handlungssicherheit zu erlangen. In den folgenden grundlegenden Reflexionen werden mit den Dimensionen „Unsicherheit“ und „Unbestimmtheit“ mit Blick auf demokratiegefährdende Tendenzen die Räume der Sozialen Arbeit ausgelotet. Reinhard Hörster wendet sich gegen eine unbeugsame Haltung und Redeweise und entwickelt eine „Politik des Lebens“ (85), Peter Thomas akzentuiert das Vertrauen in die Demokratie, und fordert, dass die Verteidigung der Demokratie sich keiner „undemokratischen Mittel“ (109) bedienen dürfe.

Zwei handlungsbezogene Beiträge beziehen sich auf Genderfragen und das Feld der Präventionsarbeit. Hier geht es im Kontext eines Kulturkampfes um die antifeministische Ideologie des rechten Populismus und darum, diese Herausforderung als „Auftrag der Grenzbearbeitung anzunehmen“ (122). Frank Greuel und Frank König plädieren in der pädagogischen Präventionsarbeit mit problematischen Phänomenen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Tabuisierungs- und Persuasionsmodus für einen Anerkennungsmodus; gemeint ist, Äußerungen von Jugendlichen „zum Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit zu machen“ (141).

Zwei Beiträge befassen sich mit der Geschichte der Sozialen Arbeit und der Profession, zeigen deren demokratische Traditionslinien, ihre Einbindung in bestimmte Spannungsfelder und das Verhältnis zum Politischen bzw., wie „Demokratie und Soziale Arbeit zusammenhängen“ (160) und wie durch Soziale Bewegungen politisiert worden ist. Im Kapitel „Versichernde Solidaritäten“ analysieren Andreas Lob-Hüdepohl und Katrin Hasse, wie von rechter Seite „exklusive Solidarität“ propagiert wird – als Gegenmodell zum Verständnis einer inklusiven Solidarität in der Sozialen Arbeit und des Sozialstaatsgebotes sowie der Profession als Menschenrechtsprofession. Mit dem rechten Populismus wird der inklusiven Bürger*innengesellschaft ein exklusives Volksgemeinschaftsdenken entgegengesetzt. Skizziert wird zudem, dass der Begriff der Solidarität, von der niemand ausgeschlossen ist, der zentrale Begriff der Sozialen Arbeit in der Auseinandersetzung mit dem rechten Populismus ist. Die Anerkennung von Differenz und ein universalistisches Solidaritätskonzept zeigen die spannungsvolle und anstrengende Arbeit und Möglichkeit einer Richtung der Sozialen Arbeit, die in vielfältige Widersprüche, Ambivalenzen und Grenzen eingebunden ist und bleibt. Dies eröffnet – so das Fazit – Perspektiven, „(Un-)Möglichkeiten jenes Anspruchs in der Sozialen Arbeit aufzuschließen, mit dem sich rechtspopulistischen Erscheinungsformen entgegen lässt“ (204).

Der Band wird abgeschlossen mit der Erläuterung von Positionen und Handlungsempfehlungen der Wohlfahrtsverbände im Umgang mit rechtsextremen und -populistischen Parteien und Gruppierungen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Hier zeigen Leonie Wagner und Julia Besche, wie klar und gut begründet sich, bei allen Unterschieden im Detail, alle Verbände ablehnend und abgrenzend positioniert haben. Mit den jeweiligen Wertbezügen werde rechtes populistisches Denken markiert sowie dessen Positionen und Implikationen eindeutig zurückgewiesen. Dem kommt innerverbandlich und öffentlich die „Funktion von Wegweisern“ (221) in unübersichtlichen Zeiten und Situationen zu.

Die Beiträge sind durchweg auf einem differenzierten und anspruchsvollen Niveau verfasst. Sie zeigen unter dem Sammelbegriff „Ver(un)sicherung“ – das wäre die treffendere Überschrift für den Sammelband – den Such- und Klärungsbedarf in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Phänomenen des Rechtspopulismus in der Sozialen Arbeit.

Der formulierte Anspruch, „Potenziale für die Denkbarkeit Sozialer Arbeit angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen unter theoretischer, praxisbezogener und historischer Perspektivierung zu eröffnen“ (32), wird mit einem aufschlussreichen Reflexionsangebot informativ und zum Weiterdenken anregend eingelöst.



Zitation:
Hafeneger, Benno (2021). Position klären und Handlungssicherheit gewinnen. Rezension zu: Katrin Haase/Gesine Nebe/Matthias Zaft (Hg.): Rechtspopulismus – Verunsicherungen in der Sozialen Arbeit, in: Journal für politische Bildung 2/2021, 64-65.

Der Autor

Prof. em. Dr. Benno Hafeneger lehrte und forscht an der Philipps-Universität Marburg zu „Jugend und außerschulischer Jugendbildung und ist Mitglied der Journal-Redaktion.

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