Politische Bildung mit Leben gefüllt

Klaus-Peter Hufer/Tonio Oeftering/Julia Oppermann (Hg.): Positionen der politischen Bildung 3. Interviews zur außerschulischen Jugend- und zur Erwachsenenbildung. Frankfurt/M. (Wochenschau Verlag) 2021, 276 S., 22,90 €


Vor dem Hintergrund „neuer Herausforderungen“, weiterhin bestehender „alter Problemstellungen“ und einem „Generationswechsel“ (7/8) im Feld der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung setzt die Publikation die Idee einer Selbstbeschreibung des Feldes durch Interviews mit dort tätigen zentralen Akteuren fort. Sie steht damit im Zusammenhang mit vergleichbaren Publikationen der Reihe ‚Positionen der politischen Bildung’ des Wochenschau Verlags aus den Jahren 2004 (Pohl, Band 1) und 2016 (Hufer/Pohl/Scheurich, Band 2) sowie mit einer Fachpublikation zum Stand der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung aus dem Jahr 2018 (Hufer/Oeftering/Oppermann, Wo steht die außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung?). Grundanliegen der Publikation ist es, einem breiten Publikum von pädagogischen Fachkräften und Interessierten einen aktuellen Einblick in das Handlungsfeld, in die sich abzeichnenden Veränderungsprozesse und in die Vielfalt der Positionen zu vermitteln, „allerdings nicht über thematische Zugänge, sondern über konkrete im Feld arbeitende Personen, die sich und ihre Arbeit in Form von Interviewbeiträgen präsentieren“ (7).

Nach einem Rückblick auf die vorausgegangenen Publikationen, einer kurzen Beschreibung neuer Herausforderungen (u. a. Digitalisierung, Migration, Rechtsextremismus/Rechtspopulismus, Europa, Projektförderungen) sowie Erläuterungen zur Buchkonzeption in der Einleitung (7 f.) dokumentieren die Herausgeber*innen 17 schriftlich durchgeführte Interviews mit Expert*innen aus der Wissenschaft und der Bildungspraxis (18 ff.). Die Liste der interviewten Personen reicht etwa von H. Bremer (Universität Duisburg-Essen), B. Lösch (Universität Köln), T. Oeftering (Universität Oldenburg) bis zu A. Wohnig (Universität Siegen); von S. Fandrych (Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung), B. Menke (Arbeit und Leben) und M. Piepenschneider (Konrad-Adenauer-Stiftung) bis zu S. Veth (Akademie der Rosa-Luxemburg-Stiftung) und B. Widmaier (Haus am Maiberg). Die Interviews basieren auf 13 Fragen zu den Oberthemen biografische Auskünfte, fachliches Grundverständnis (Inhalte, Ziele, Methoden, Herausforderungen), politische Rahmenbedingungen und notwenige Fachkompetenzen. Daran schließen sich ein Fachartikel von Helle Becker zum Wissenschaft-Praxis-Verhältnis (246) sowie eine kurze auswertende, zum Teil auch bewertende Zusammenfassung der Interviews durch Klaus-Peter Hufer und Julia Oppermann an (256). Die Publikation endet mit einer Übersicht über die von den Interviewten empfohlene Basisliteratur (269) sowie mit einer Kurzbeschreibung der Interviewpartner*innen (271).

Auch wenn sich nicht alle befragten Personen stringent an den Fragenkatalog gehalten haben und sich die Antworten in Bezug auf Stil, Ausführlichkeit, Darstellungsbreite und -tiefe zum Teil deutlich voneinander unterscheiden, geben sie einen vertieften Einblick in das Selbstverständnis von Akteur*innen politischer Bildung und damit ausschnitthaft in das Feld. Einige Befunde, die sich überblicksartig in der Zusammenfassung am Ende der Publikation nachlesen lassen, sollen an dieser Stelle stichwortartig erwähnt werden. In fast allen Beiträgen wird nachempfindbar deutlich, wie biografisch prägend frühe Politisierungsprozesse in Familie, Schule, Jugendarbeit oder etwa sozialen Bewegungen waren. Dies ist zwar ein bekannter Befund, er erhält aber angesichts der Ausführungen im 16. Kinder- und Jugendbericht zu den unterschiedlichen Räumen politischer Bildung eine zunehmende bildungspolitische Bedeutung. Zumindest auf der Basis der schriftlichen Interviews ist zudem eine große Schnittmenge bei den Befragten in Bezug auf die grundlegenden und allgemeinen Ziele politischer Bildung („emanzipatorische Zielideen“), die Bedeutung vielfältiger methodischer Zugänge und Formate („Methodenvielfalt als Spezifikum“) sowie grundlegender berufsbezogener Kompetenzen festzustellen. Bei der Beschreibung zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen setzen die Befragten zwar unterschiedliche Akzente, als verbindender Nenner lassen sich die sozialen Exklusionsprozesse, aktuelle Demokratiegefährdungen sowie eine fortscheitende Ökonomisierung und Digitalisierung von Bildung herausfiltern. In Bezug auf bildungspolitische Aspekte wird in den Interviews einerseits der politische und gesellschaftliche Bedeutungszuwachs der politischen Bildung herausgestellt, andererseits verweisen zahlreiche Befragte zugleich auch auf die prekären Arbeitssituationen, die Funktionalisierung der politischen Bildung (Feuerwehrfunktion) und auf eine zunehmende Outputorientierung. 

Dass es einer engeren Verzahnung von Theorie und Praxis bedarf, ist zwar ebenfalls hinlänglich bekannt, wird aber durch zahlreiche Interviews und durch den Beitrag von Helle Becker noch einmal unmittelbar bekräftigt. Bei der Frage nach aktuellen Fachkontroversen schließen sich Klaus-Peter Hufer und Julia Oppermann in ihrer Zusammenfassung der Position Falk Scheidigs an: „Einige Themen werden engagiert, perspektivenreich und partiell mit divergierenden Positionen diskutiert, aber grundsätzliche Kontroversen erwachsen hieraus […] nicht“ (148). Die Publikation endet mit einer möglichen Ursachenbeschreibung für die diagnostizierten fehlenden Fachkontroversen: „Alles in allem“, so Autorin und Autor, „sieht es aus, als sei es im Fach ruhig geworden, als bestehe weitestgehend Einigkeit bei den grundlegenden Fragen. Dies könnte unterschiedliche Ursachen haben: Erstens, die früheren Konflikte und Streitfragen sind im Konsens gelöst. Zweitens, der Pragmatismus der alltäglichen Arbeit hat Grundsatzdebatten überlagert (und beendet). Drittens, die öffentliche Anerkennung des Faches wirkt befriedend. Viertens, Politische Bildnerinnen und Bildner sind zahm geworden. Die letzte Erklärung wäre aus unserer Sicht beunruhigend“ (267 f.).

Das Interviewbuch vermittelt einen guten Einblick in die fachlichen Positionen der ausgewählten Personen. Es hat besonders dort seine Stärken, wo die befragten Personen ins fachlich-biografische und reflektierte Erzählen (storytelling) kommen. Also dort, wo der Anspruch auf vermeintliche Vollständigkeit in der Darstellung verlassen wird, wo die Person mit ihren jeweiligen Schwerpunktsetzungen und biografisch-fachlichen Akzentuierungen in den Vordergrund und die jeweilige Institution eher in den Hintergrund tritt. Ebenfalls dort, wo der Anspruch an eine Art Fachartikel zugunsten reflektierter persönlicher Beschreibungen und Positionierungen zum Ausdruck kommt. Genau dort füllt sich politische Bildung mit Leben. Falls die Publikation auch den Anspruch erheben sollte, einen exemplarischen Einblick in das weite Feld der Profession zu liefern, dann sollte sie (zukünftig) diese Vielfalt bei der Auswahl der Personen in den Blick nehmen und zudem, stärker als in der vorliegenden Publikation geschehen, Personen berücksichtigen, die (noch) unmittelbarer in der praktischen Bildungsarbeit verankert sind. Vermutlich würden dann auch deutlicher die weiterhin oder neu vorhandenen grundsätzlichen Fachkontroversen im Feld hervortreten.

Die Publikation und der Publikationsansatz stellt eine absolut wichtige Ergänzung zu den sonst eher üblichen Fachpublikationen dar und kann deshalb einem breiten Publikum empfohlen werden. Einige Beiträge und Passagen fesseln geradezu, andere geben zumindest einen guten Überblick in Bezug auf die aufgeworfenen Fragen. Der Band eignet sich mit seinem personenorientierten Zugang sowohl als Einstiegslektüre in das Arbeitsfeld im Rahmen von Studium, Aus- und Fortbildung wie auch als Lektüre für Expert*innen und Interessierte. Mehr davon – vielleicht etwas pointierter und zugespitzter in den Fragestellungen, in der Diversität der Interviewpersonen und der Repräsentanz neuer Träger der politischen Bildung – wäre wünschenswert.


Zitation:
Ballhausen, Ulrich (2021). Politische Bildung mit Leben gefüllt. Rezension zu: Klaus-Peter Hufer/Tonio Oeftering/Julia Oppermann (Hg.): Positionen der politischen Bildung 3. Interviews zur außerschulischen Jugend- und zur Erwachsenenbildung, in: Journal für politische Bildung 3/2021, 62-63.

Der Autor

Ulrich Ballhausen, Wiss. Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz Universität Hannover

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