Erinnern in die Zukunft

Die Europäische Akademie Otzenhausen (EAO) ist 1954 aus einer Friedensidee hervorgegangen, welche bis heute inhaltlich erweitert und zeitgemäß mit einem Fokus auf Fragen der europäischen Integration interpretiert wird. Im Zuge der Eröffnung des Erinnerungspfads Höckerlinie Otzenhausen erprobte sie eine Möglichkeit, Erinnerungskultur greifbar zu machen und Zielgruppen sowohl sachlich-informativ als auch emotional anzusprechen, um dabei Demokratiefähigkeit und die Entwicklung von Zivilcourage einzuüben.


„Hier darf niemals Gras drüber wachsen“
Im Juli 2021 wurde am Ortsrand des Dorfes Otzenhausen im Nordsaarland der Erinnerungspfad Höckerlinie Otzenhausen als Teil des aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden Westwalls eröffnet. Nach über 80 Jahren ist hier im Wortsinne ‚Gras drüber gewachsen‘ und ein ungestörter Lebensraum für Pflanzen und Kleintiere entstanden. Seit 2019 engagiert sich eine ehrenamtliche Projektgruppe für die Inwertsetzung der Höckerlinie als Erinnerungspfad. Sie ist der Überzeugung, dass im übertragenen Sinne ‚niemals Gras drüber wachsen‘ dürfe. Diese Maxime der Erinnerung stand am Anfang des Projekts und leitet bis heute die Zielsetzungen und Aktivitäten der Organisator*innen. 

Zur Schaffung des Erinnerungspfades wurde ein Teilstück der Höckerlinie zugänglich gemacht, mit Informationstafeln bestückt und Raum geschaffen, an dem sich größere Gruppen zusammenfinden können. Es ging darum, die Flächen als außerschulischen Lernort nutzbar zu machen. Die freigelegten Überreste der Höckerlinie sind authentische Zeugen der Vergangenheit. Der Teil des Pfades durch die Höcker eröffnet den Besucher*innen einen intensiven emotionalen Zugang. Grundtenor ist es, den Ort – wenngleich unter anderem durch denkmalschutzrechtliche Vorgaben geschützt – nicht als ‚Denkmal‘, sondern als ‚Mahnmal‘ zu verstehen und sich klar gegen eine Inanspruchnahme durch rechte Gruppen zu positionieren. Der Erinnerungspfad versteht sich als Statement für Frieden, Völkerverständigung und eine offene Gesellschaft. Aus dem Gedenken heraus Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft zu übernehmen – so lautet die selbstgestellte Aufgabe der Projektgruppe und ihrer Partner*innen. Daraus entstand das übergeordnete Motto des Erinnerungspfads Höckerlinie Otzenhausen und der daraus abgeleiteten Bildungsmaßnahmen: „Erinnern in die Zukunft“. Die im Spätherbst 2021 angelaufenen pädagogischen Aktivitäten richten ihren Fokus nicht mehr nur auf die Vermittlung der Vergangenheit, sondern auf eine zukunftsgerichtete Inbesitznahme des Ortes. Dieses Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg wird im Rahmen von Bildungsmaßnahmen „in Besitz“ genommen und dabei dessen ursprünglicher Zweck in sein Gegenteil verkehrt. Teilnehmer*innen können es als Impuls nutzen, um ihre Ideen für die Zukunft im Sinne einer (auch künftig) demokratischen, friedensorientierten und couragierten Zivilgesellschaft zu formulieren. Neben dem Mahnmal…

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Die Autorinnen

Nicola Speer ist Diplom-Sprechwissen­schaftlerin und als Studienleiterin in den Bereichen Rhetorik und Methodik in der politischen Bildung sowie Internationale Studienprogramme an der Europäischen Akademie Otzenhausen gGmbH tätig.

Kerstin Adam ist Diplom-Übersetzerin (franz./engl.) und arbeitet als Projektleiterin mit den Schwerpunkten Öffentlichkeits- und Kultur­arbeit in der Stiftung europäische Kultur und Bildung.

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