Klima, Kohle, Demokratie?

Die angebliche ökonomische Notwendigkeit des immerwährenden Wirtschaftswachstums hat die Tragfähigkeit unseres Planeten mittlerweile weit überschritten. Trotz offensichtlicher Folgen wie Klimawandel, zur Neige gehende Ressourcen und große soziale Ungleichheit halten die meisten in Wirtschaft und Politik unbeirrbar am Paradigma des Wirtschaftswachstums fest. Doch kritische Stimmen, die die negativen sozialen und ökologischen Folgen einer auf Wachstum fokussierten Weltwirtschaft sehen, werden lauter. Sie sind überzeugt, dass ein weiteres materielles Wachstum weder ökonomisch noch ökologisch möglich ist, und fordern ein anderes Denken und Handeln: Wirtschaften und Leben innerhalb sozialer und ökologischer Grenzen. In der Rubrik BildungsPraxis hat Susanne Offen, Mitglied der JOURNAL-Redaktion, ein Interview mit David Löw Beer vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung geführt, in dem insbesondere demokratische Prozesse, gesellschaftliche Machtverhältnisse und außerschulische politische Bildung im Kontext des geplanten Kohleausstiegs thematisiert werden.


Journal: Ihre Perspektive auf Klima und Kohle ist auch durch Ihre Arbeit am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) geprägt. Bitte umreißen Sie diesen Zugang eingangs einmal kurz.

David Löw Beer: Meine 2016 veröffentlichte Dissertation trägt den Titel „Ökonomische Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“. Ich beschäftige mich bereits seit einigen Jahren praktisch und wissenschaftlich mit einer kritischen politökonomischen Bildung. Am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung arbeite ich seit gut zwei Jahren. Wir haben die Aufgabe, zu Nachhaltigkeitstransformation zu forschen und Politikberatung zu machen. Ich arbeite am IASS im Projekt „Politisierung der Zukunft“ und, seit einem halben Jahr, auch im Projekt „Sozialer Strukturwandel & responsive Politikberatung in der Lausitz“. In dem Projekt begleiten wir den Transformationsprozess in der Lausitz, insbesondere in Verbindung mit dem Kohleausstieg und Herausforderungen für die Demokratie. Unser Ziel ist es dabei, Möglichkeiten einer kooperativen Politikgestaltung auszuloten und verschiedene Perspektiven sichtbarer zu machen. Dabei spielen die Debatten um den Kohleausstieg eine herausragende Rolle, sei es in der bundesdeutschen Politik oder z. B. in den Auseinandersetzungen um Tagebaue vor Ort.

Journal: Mit den Demonstrationen von Schüler/-innen in den letzten Monaten ist nochmal sehr deutlich geworden, wie sehr das Thema Klima junge Menschen umtreibt und zu politischer Einflussnahme drängt. Mit der Arbeit der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB), oft kurz Kohlekommission genannt, und ihrer öffentlichen Rezeption liegt ein Beispiel vor, wie sich die formale Politik mit einem Ausschnitt des Themenfeldes beschäftigt – inwieweit eignet sich die Kohlekommission als Gegenstand einer politischen Bildung, die politische Aushandlungsprozesse nachvollziehen will?

David Löw Beer: Neben dem bereits angesprochenen hohen Interesse von Jugendlichen am Thema Klimaschutz und seiner hohen Zukunftsbedeutung scheint mir die KWSB aus mehreren Gründen ein interessanter Gegenstand für die politische Bildung:

Während Politik vielfach Stillstand vorgeworfen wird, zeigt die Kommission, dass es möglich ist ein Thema wie einen Kohleausstieg vor 2040, was in Deutschland noch vor kurzem als undenkbar galt, durch den Druck nationaler und internationaler Öffentlichkeit auf die politische Agenda zu heben. Der Kompromiss, den die KWSB ausgehandelt hat, ist bezeichnend für die immer noch geringe Bedeutung der Klimaschutzpolitik in Deutschland. Die Verhandlungen zeigen auch, wie voraussetzungsvoll politische Veränderungsprozesse sind und wie viele Akteur/-innen diese verhindern können, während sogenannte Marktergebnisse oft einfach hingenommen werden. Schließlich gibt es eine lange Tradition in Deutschland von Kommissionen, die exemplarisch anhand der KWSB untersucht werden kann.

Ich möchte etwas mehr ins Detail gehen: Zunächst kann man sich fragen, warum die KWSB eingesetzt worden ist. Dass ein Ausstieg aus der Kohleverstromung ökologisch notwendig ist, ist seit vielen Jahren bekannt und es wäre naiv davon auszugehen, dass die Kommission allein eingesetzt wurde, weil man plötzlich die Erkenntnis hatte, dass der Kohleausstieg für die Erreichung der Klimaziele wichtig wäre. Außerdem müsste man aus Klimaschutzgründen sehr schnell aus der Kohle aussteigen und nicht erst in 20 Jahren, so wie es der Kompromiss vorsieht. Mir ist noch keine Untersuchung bekannt, die alle Gründe für die Einsetzung der Kommission zusammenführt, aber folgende Aspekte spielen eine wichtige Rolle:

Die internationale Rolle Deutschlands: Deutschland präsentiert sich ja gerne als Vorreiter im Klimaschutz, allerdings sind die Treibhausgasemissionen Deutschlands seit 2009 nicht mehr nennenswert gesunken und viele andere Länder unternehmen deutlich größere Anstrengungen. Mittlerweile ist sogar klar, dass Deutschland die selbstgesteckten Klimaziele für 2020 weit verfehlen wird. Weiterhin haben sich in der Powering Past Coal Alliance 2017 verschiedene Länder zusammengeschlossen, die aus der Kohle aussteigen wollen. Dies machte international Furore und es wurde in der Öffentlichkeit nicht gut aufgenommen, dass Deutschland nicht Teil der Allianz war. Aus all dem ist ein Handlungsdruck auf die Bundesregierung entstanden.

Nationaler Druck: Zivilgesellschaftliche Aktionen wie von „Ende Gelände“ (Aktionen zivilen Ungehorsams, etwa die Besetzung von Tagebauen) oder auch Divestment (Abzug insbesondere öffentlicher Investitionen in fossile Energieträger) haben öffentlichen Druck aufgebaut, der die Politik zum Handeln treibt. Noch stärker erleben wir, dass aktuell Proteste wie die „Fridays For Future“-Demonstrationen (vgl. auch den Beitrag in der Rubrik ÜberGrenzen in diesem Journal) dazu führen könnten, dass die Regierung Merkel in den letzten Jahren ihrer Amtszeit doch noch Maßnahmen für den Klimaschutz ergreift. Zugleich hat die AfD insbesondere in der Lausitz sehr hohe Stimmanteile bei der letzten Bundestagswahl erzielen können. Vor den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen in diesem Jahr wollte man zeigen, dass man sich um diese Regionen kümmert.

Wirtschaftlicher Druck: Spätestens seit 2015 sind eine Reihe von Kohlekraftwerken unwirtschaftlich geworden. Auf Seiten der Unternehmen und bei den Gewerkschaften wollte man eine ökonomisch gebotene dauerhafte Stilllegung von Kohlekraftwerken ohne finanzielle Zahlungen verhindern. Hier war klar, dass man über eine politische Entscheidung langfristige Unterstützungs­leistungen ermöglichen würde.

Für das Verständnis aktueller politischer Aushandlungsprozesse ist auch die Frage interessant, wieso die Kohlekommission ein Ergebnis hervorbringen konnte, das 27 der 28 Mitglieder unterstützen. Neben dem zuvor Genannten spielt hier hinein, dass die Umweltverbände einen langen Stillstand in der Klimaschutzpolitik erlebt haben und diesen aufbrechen wollten. Sie stimmten einem Kompromiss zu, auch wenn ihnen klar war, dass etwa die Ziele des Pariser Klimagipfels damit nicht erreicht werden können. Weiterhin ist nach zehn Jahren Wirtschaftsaufschwung und sprudelnder Steuereinnahmen Geld da, so dass man in dem Kompromiss für eine Vielzahl von Akteur/-innen umfassende Leistungen und Kompensationen hineinschreiben konnte, z. B. zur Förderung von Infrastruktur, Unternehmens- und Behördenansiedlungen in den Regionen, für Sozialpläne oder zur Kompensation der Energieproduzenten sowie von möglichen Strompreisanstiegen.


Politische Bildung kann die Komplexität einer Kompromisssuche verdeutlichen



Kommissionen unter Einbeziehung zahlreicher Akteur/-innen haben eine lange Tradition in Deutschland, z. B. die „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ – kurz Hartz-Kommission, deren Vorschläge die Basis für einen massiven Umbau des Sozialstaats waren. Im Umweltbereich hat vor ein paar Jahren eine Kommission für Furore gesorgt, die die Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie regelte. Solche Kommissionen werden gerne eingesetzt, wenn es großen politischen Druck für eine Veränderung gibt und politische Institutionen – wie Regierungen oder Parlamente – sich nicht in der Lage sehen, selbst unmittelbar Maßnahmen zu ergreifen oder durchzusetzen. Eine Besonderheit der KWSB lag, neben dem Beinahe-Konsens, darin, dass in ihr keine aktiven Bundespolitiker/-innen vertreten waren. Vielmehr bestand die Kommission aus 28 Mitgliedern aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltschutzverbände und Vertreter/-innen der Regionen.

Es ist nun zu verfolgen, wie das Kommissionsergebnis in Gesetze überführt wird und ob der Kompromiss das Vertrauen in den Staat und die etablierten Parteien stärkt. Wenn man sich die Ergebnisse der EU-Wahlen anschaut, bei denen die AfD stärkste Kraft in der Lausitz geworden ist, muss man skeptisch sein, ob das gelingt. Welche Prozesse es ermöglichen, dass dieser Strukturwandel in der Lausitz als eigenes Projekt verstanden werden kann, kann dabei eine Kernfrage sein.

Journal: Offensichtlich spielen Machtstrukturen in den politischen Aushandlungsprozessen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, wessen Positionen überhaupt gehört werden und welche Kompromisse möglich werden. Das hat in vielfacher Weise mit Demokratie zu tun, insofern hier deutlich wird, dass inhaltlich begründete und fachlich adäquate Positionen auf Klimaveränderungen sich im Kontext etablierter Machtverhältnisse und widersprüchlicher wirtschaftlicher Interessen ebenso wie im Kontext etwa generationsbezogener Ungleichheiten behaupten müssen. Wie lässt sich das Geschehen rund um die Kohlekommission in der politischen Bildung auch dafür heranziehen, um zum Beispiel in Bezug auf die hier verhandelten Vorstellungen von Gerechtigkeit solche Prozesse nachvollziehen zu können?

David Löw Beer: Macht und Gerechtigkeit zusammen zu denken, trifft hier sicherlich den Kern. In der öffentlichen Auseinandersetzung ist der Kohleausstieg ein Kampf unterschiedlicher Gerechtigkeitsvorstellungen. Es wird z. B. gefragt: Kann man es rechtfertigen, dass einzelne Regionen und insbesondere die Arbeiter/-innen in der vergleichsweise armen Lausitz die Kosten für die Lösung eines globalen Problems tragen müssen? Kann das reiche Deutschland weiterhin deutlich mehr Treibhausgase emittieren als es für menschliches Leben auf der Erde dauerhaft tragfähig ist und müsste nicht gerade Deutschland aus der besonders klimaschädlichen Braunkohle zeitnah aussteigen? Wie stark dürfen heutige Generationen die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen einschränken? Dürfen wir dazu beitragen anderen Spezies auf der Erde und Menschen in anderen Teilen der Welt die Lebensgrundlagen zu entziehen? Sollten Unternehmen oder die Allgemeinheit die Kosten für die langfristigen Schäden des Kohleabbaus und für die früheren Schließungen der Tagebaue und Kraftwerke bezahlen? Wieso wird die deutsche Autoindustrie nach dem Dieselskandal kaum in die Verantwortung gezogen, während im Energiebereich nun aus der Atom- und Kohleenergie ausgestiegen wird? Ist es andererseits gerechtfertigt, nun ca. 40 Milliarden Euro Steuergelder für den Strukturwandel auszugeben, wenn an der Braunkohle direkt nur noch gut 20.000 Arbeitsplätze, also weniger als 0,1 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland hängen und die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten ohnehin bis 2038 in den Ruhestand gehen wird? Müssen in den Regionen mindestens gleich viele und gleich gut bezahlte (Industrie-)Arbeitsplätze geschaffen werden?


Klimapolitik ist darauf angewiesen, öffentlich sichtbar zu sein



Viele weitere Fragen ließen sich anschließen. Wesentlich erscheint es mir, in der politischen Bildung allerdings nicht nur bei einer Verhandlung von diesen Fragen stehenzubleiben und die Illusion zu nähren, dass es nur um einen Ausgleich der Interessen gehen würde. Vielmehr muss man feststellen, dass die Position der Umweltpolitik gegenüber von Argumenten wie Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum recht schwach geblieben ist. Man sieht dies schon im Titel der Kommission, die ja nicht zufällig nur die Begriffe Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, nicht aber Klimaschutz trägt. Man sieht es auch daran, dass Kohle schon lange kaum mehr genutzt werden würde, wenn die Kohleproduzenten die von ihnen verursachten Umwelt- und Klimaschädigungskosten selbst tragen müssten.

Stattdessen ist es einer Koalition aus Unternehmern und zum Teil Arbeitnehmervertretungen z. B. gelungen, dass der Staat Kraftwerke in Reserve weiter finanziert, die aus wirtschaftlicher Sicht längst stillgelegt worden wären. Am Beispiel der Kommission lässt sich aber auch erkennen, wie Machtverhältnisse und Gerechtigkeitsvorstellungen verändert werden können, z. B. durch das Erstarken der Klimabewegung, oder wie die Aufmerksamkeit für Belange in der Lausitz durch die Sorge vor der AfD gewachsen ist und wie diese möglicherweise auch einen Schulterschluss zwischen den beteiligten Akteuren ermöglichte, der sonst nicht möglich gewesen wäre.

Journal: Welche methodischen Zugänge in der (außer-)schulischen politischen Bildung könnten geeignet sein? Der Gedanke an Planspiele drängt sich ja auf, andererseits bleiben dabei die verschiedenen Positionen schnell gleichwertig nebeneinander stehen oder es wird ein Empfinden von eigener Ohnmacht im Kontext wirkmächtiger wirtschaftlicher Interessen befördert – welche Variationen könnte es geben?

David Löw Beer: Rollen- und Planspiele sowie Szenarien sind vermutlich das erste, woran man bei politischer Bildung zum Kohleausstieg denkt. Sie können etwa dazu beitragen, die Vielfalt der vorhandenen Interessen und die Komplexität einer Kompromisssuche zu verdeutlichen. Um die beschriebenen Gefahren zu vermeiden und auf eine nicht-naive Weise Veränderungspotenziale in demokratischen Politikprozessen zu erkennen, müssten diese allerdings sehr umfassend vor- und nachbereitet werden.

In einem Bildungsprozess könnte man aber auch in einem Diskussionsformat Vor- und Nachteile der Einsetzung von Kommissionen für demokratische Entscheidungsfindungen beleuchten. Weiterhin könnte man anhand von Medienberichten Diskursverschiebungen in den letzten Jahren betrachten. Hier würden Visualisierungstechniken eine wesentliche Rolle spielen. Man könnte die Strategien von Lobbygruppen und Aktivist/-innen nachvollziehen, etwa durch eine Analyse der Social Media-Auftritte oder durch Gespräche und die Entwicklung eigener Strategien der Einflussnahme und man könnte darüber reflektieren, welche Argumente öffentlich gemacht werden (sollten) und welche Interessen dahinterstecken. Auch Interviews mit Vertreter/-innen der an der Kommission beteilig­ten Akteure oder Ausflüge in die Regionen vor Ort bieten als Zugänge Forschenden Lernens Potenzial. Schließlich bietet es sich gerade in der Auseinandersetzung um Kohle und Klima an, auch künstlerische Zugänge hinzuziehen, z. B. Musik oder Filme.

Journal: Im Kontext von Klimapolitik finden sich eine Vielzahl an parlamentarischen und außerparlamentarischen Aktionsformen. Inwieweit sollte politische Bildung sich mit diesen Aktionsformen auseinandersetzen?

David Löw Beer: Eine Auseinandersetzung mit diesen Aktionsformen ist für politische Bildung fundamental. Klimapolitik ist mehr als andere Politikbereiche darauf angewiesen, öffentlich sichtbar zu sein. Es ist spannend, in der politischen Bildung die vielfältigen Aktionsformen zu befragen, aktuell und historisch; z. B. könnte man untersuchen, welche Aktionsformen den Atomausstieg in Deutschland ermöglicht haben oder ob Schule schwänzen oder die Besetzung von Kohlebaggern legitime und erfolgversprechende Strategien sind. Auch die Aktionsformen der Kohlebefürworter/-innen, seien es Demonstrationen von Arbeiter/-innen, Werbekampagnen oder ihre Wege, politischen und medialen Einfluss zu gewinnen, sind wichtige Gegenstände politischer Bildung. Weiterhin spielen Symbole wie der Hambacher Forst oder Identifikationsfiguren wie Greta Thunberg eine enorme Rolle in den aktuellen Auseinandersetzungen, an denen sich vieles zeigen lässt, etwa wie beeindruckend Menschen wirken können, die sich langfristig und unter erheblichen persönlichen Einschränkungen für eine Sache engagieren, wie ein beharrlicher, friedlicher Widerstand Erfolg haben kann, wenn dieser einem repressiven Vorgehen von Unternehmen und Polizei gegenübersteht. Nicht zuletzt beschreiben Aktivist/-innen wie etwa aus dem Hambacher Forst, dass sie im Widerstand neue Formen des solidarischen und sinnstiftenden Zusammenlebens entstehen sehen – ein klassisches Feld der Sozialen Bewegungen, mit dem sich politische Bildung auseinandersetzen kann.

Journal: Wie geht es in eurem Projekt jetzt in Bezug auf den Bildungsteil weiter?

David Löw Beer: Wir würden die Auseinandersetzungen um Strukturwandel und Kohleausstieg gerne als exemplarisches Feld der Umwelt-, Regional- und Sozialpolitik weiter untersuchen und hierzu konkrete Material- und Bildungsangebote entwickeln. Wir möchten mit Schulen, Schulleitungen und Bildungsinstitutionen ins Gespräch kommen zu der Frage, wie sich diese aktiv in den Strukturwandel mit einbringen können – jenseits der Frage, wie sich die Ausbildung verändern müsste.

Inhaltlich wollen wir die Bedeutung der Kohle für die Ener­gieversorgung und in der Klimadiskussion sowie mögliche Politikinstrumente für einen Strukturwandel anhand verschiedener Länderbeispiele beschreiben. Wir wollen zweitens auf die Geschichte und kulturelle Bedeutung der Kohle schauen, da sie ja symbolisch für die Entwicklung des rheinischen Kapitalismusmodells steht und auch prägend für die DDR war. Schließlich wollen wir nationale und internationale Kämpfe um Kohle aus der Perspektive von Aktivist/-innen und Arbeiter/-innen darstellen. Dafür haben wir bereits Interviews geführt. Mit all dem möchten wir auch einen Beitrag leisten, den Strukturwandel, insbesondere in der Lausitz, in einer breiten Öffentlichkeit vielperspektivisch zu diskutieren.

Journal: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Dr. David Löw Beer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und hat in Tübingen und Niterói (Brasilien) internationale Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Er entwickelt Bildungsmaterialien, gibt Seminare in der ökonomischen und politischen Bildung und ist als Gutachter für verschiedene Zeitschriften tätig.


Fridays For Future – Eine neue Protestgeneration?
Seit Monaten demonstrieren jeden Freitag Tausende Schüler/-innen bundesweit für mehr Klimaschutz und erfahren eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Am 15. März 2019 fanden weltweit in 98 Ländern und an 1.325 Orten „Fridays For Future“-Demonstrationen statt. Doch wer sind die Protestierenden? Wie lässt sich ihr sozio-demografisches Profil beschreiben, welche politischen Einstellungen, Wahrnehmungen und Erfahrungen sind für sie bestimmend?

In Missverhältnis zu verbreiteten Einschätzungen und Spekulationen stehen kaum gesicherte Informationen über die Protestierenden zur Verfügung. Daher entschlossen sich Forschungsgruppen aus neun europäischen Ländern, am 15. März 2019 zeitgleich eine Befragung der Protestierenden anhand eines einheitlichen Schemas durchzuführen. Zusammen mit Protestforscher/-innen aus Schweden, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Belgien, Polen, der Schweiz, Österreich und Italien befragten Mitarbeiter/-innen des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) an diesem Tag Protestierende zu ihrem Anliegen sowie ihrem politischen Interesse und Engagement.

Die Ergebnisse der Befragungen in Deutschland, die in Berlin und Bremen durchgeführt wurden, geben Auskunft über das sozio-demografische Profil, politische Einstellungen und Wahrnehmungen der Teilnehmenden der „Fridays For Future“-Bewegung.

Zentrale Ergebnisse:

  • Die Schüler/-innen sind oftmals das erste Mal an Demonstrationen beteiligt
  • Kontakt mit Freund/-innen ist ein wichtiger Weg der Mobilisierung
  • Eine deutliche Mehrheit verortet sich im linken Spektrum, DIE GRÜNEN bieten die stärkste Identifikation
  • Protest wird als eine Art von politischer Selbstermächtigung begriffen
  • Wichtig ist die Veränderung der eigenen Lebens- und Konsumpraxis

Weitere Informationen und alle Ergebnisse der Befragung sind unter https://tinyurl.com/fff-jpb abrufbar.

Zitation:
Offen, Susanne (2019). Klima, Kohle, Demokratie? Perspektiven auf demokratische Prozesse im Kontext gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Ein Interview mit David Löw Beer vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, in: Journal für politische Bildung 2/2019, 54-59.

Im Interview

Dr. David Löw Beer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und hat in Tübingen und Niterói (Brasilien) internationale Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Er entwickelt Bildungsmaterialien, gibt Seminare in der ökonomischen und politischen Bildung und ist als Gutachter für verschiedene Zeitschriften tätig.

Fragen von

Dr. Susanne Offen ist Bildungswissenschaftlerin sowie Studienrätin für das Lehramt an berufsbildenden Schulen mit den Unterrichtsfächern Politik und Sozialpädagogik. Der außerschulischen politischen Bildung ist sie über Arbeit und Leben Hamburg verbunden. 

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