Impulse für eine Post-Covid-Zeit

rausgeblickt: Andreas Reckwitz, Pandemie
und Staat (88 S.); Heinz Bude, Pandemie und Gesellschaft (64 S.), Bonn (Dietz Verlag) 2021; jeweils 10,00 €


Aus der mehrbändigen Reihe „rausgeblickt“, in der in einem Gesprächsformat jeweils ein Autor bzw. eine Autorin aus Wissenschaft, Politik oder Kunst über die Pandemiezeit zu Wort kommen, sollen hier zwei vorgestellt werden. Deren Themen sind die Herausforderungen der Gesellschaft und des Staates in einer „Zeitenwende“ – so der diagnostische Hinweis. Die anderen Bände befassen sich mit Ungleichheit, Klima, Solidarität, Geschlechtern, Arbeit und Markt. Es ist eine Interviewreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung, die nachdenklich mit dem Hinweis eingeleitet wird, dass „die Probleme nach Corona die Probleme vor Corona sind, nur schlimmer. Das hat die Pandemie schonungslos gezeigt – Corona beschleunigt alte Missstände und Widersprüche“.

Im Interview mit Andreas Reckwitz zum „Staat“ geht es zunächst um den Blick auf unsere „Verwundbarkeit“ in einer spätmodernen Zeit, die mit ihren strukturellen Dynamiken, ihren Licht- und Schattenseiten charakterisiert wird. Dabei blickt er vor allem auf die „kulturelle Tiefenstruktur der Gesellschaft“ (18) und die von ihm dia­gnostizierte „Kultur der Singularitäten“ bzw. die durch Ökonomie, Lebensformen und digitale Technologien stimulierten Singularisierungsprozesse. Hier sieht er ein Dreiermodell sowie eine gespaltene und polarisierte, mit Diskrepanzen verbundene Sozialstruktur sich herausbilden, die aus alter und kulturell einflussreicher neuer Mittelklasse sowie einer Service Class besteht; und die gerade auch in der Pandemiezeit Gewinner und Verlierer hervorbringt.

Anschließend geht Reckwitz auf die Folgen des Dynamisierungsliberalismus ein, der sich vor allem in der Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur zeigt. Er plädiert für einen „einbettenden Liberalismus“ (54), der mit einer stärkeren Rolle des Staates bzw. politischer Regulierung verbunden ist. Weiter fordert er eine staatlich garantierte Grundversorgung in der Gesellschaft, eine aktive Risikopolitik und skizziert die Herausforderung, „die Differenzen der Heterogenität und eine gesellschaftliche Allgemeinheit“ (66) zusammenzubringen.

Im Interview mit Heinz Bude zur „Gesellschaft“ geht es um – das habe die Corona-Zeit gezeigt – die wachsende Bedeutung von Solidarität, eine aktive und schützende Rolle des Staates sowie das Sich-umeinander-kümmern und -schützen in der Pandemie. Er sieht hier ein großes und neues Potenzial für die gesellschaftliche Entwicklung.

Für Bude zeigt die Pandemiezeit mit den Erfahrungen der allgemeinen Verwundbarkeit so etwas wie eine „Staatbedürftigkeit der Gesellschaft“ (21) und das Bedürfnis nach Solidarität bzw. „sorgenden Gemeinschaften“ (49). Für ihn gibt es innerhalb der Gesellschaft einen Schutzbedarf und einen Freiheitsbedarf gleichermaßen, und er postuliert programmatisch: „Wir müssen über den Ausbau einer neuen resilienten Infrastruktur reden, den investiven Staat, aber auch darüber, was eigentlich eine Kultur der Kollektivgüter bedeutet und welche Bedeutung der Subsidiaritätsbegriff in so einer Kultur hat“ (51).

Beide Gespräche über die Zeitenwende bieten als prägnante und konzentrierte Statements anregende Reflexionsangebote über die Pandemiezeit und die Zeit danach. Sie zeigen in einem einladenden Format und auf wenigen Seiten zentrale Gedanken der beiden Gesprächspartner in ihrer Suche nach Deutungen über den Staat und die Gesellschaft – letztlich über die Zeit, in der wir leben. Sie machen zugleich neugierig auf die Publikationen der beiden Autoren, in denen ihr Denken breiter und systematischer dargelegt ist.


Zitation:
Hafeneger, Benno (2021). Impulse für eine Post-Covid-Zeit. Rezension zu: rausgeblickt: Andreas Reckwitz, Pandemie und Staat; Heinz Bude, Pandemie und Gesellschaft, in: Journal für politische Bildung 3/2021, 60.

Der Autor

Prof. em. Dr. Benno Hafeneger lehrte und forscht an der Philipps-Universität Marburg zu „Jugend und außerschulische Jugendbildung“ und ist Mitglied der Journal-Redaktion.

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