Fridays for Future

Während in Zeiten der Corona-Pandemie kaum noch Aufmerksamkeit auf die Klimakrise entfällt, war das vor ein paar Monaten noch anders. Die Demonstrationen hunderttausender insbesondere junger Menschen dominierten über einen unüblich langen Zeitraum die maßgeblichen tagespolitischen Debatten. Fridays for Future (FFF) ist das Sinnbild der politischen Jugend geworden, die auch nach monatelanger Ignoranz aus Regierungen und Parlamenten ähnlich aktiv ist wie noch im Spätsommer 2019, als bundesweit über 1,4 Millionen Menschen dem Demonstrationsaufruf der Jugendlichen folgten. 


Mit lautem, aber friedlichem Rückenwind aus dem ersten global organisierten Demonstrationstag am 15. März 2019 veröffentlichte die deutsche Fridays for Future-Bewegung am 8. April 2019 sechs Grundsatzforderungen, deren Umsetzung den Beitrag Deutschlands zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sichern sollen. Die Aktivisten wollten der Wissenschaft damit den Rücken stärken – durch die Ignoranz der Verantwortlichen brauche es mit jedem verlorenen Tag erheblich größere Anstrengungen, um die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte wieder aufzuholen, so die Aktivisten. Doch trotz aller argumentativer Bemühungen scheint den Verantwortlichen auch jetzt, mehr als ein Jahr später, noch immer die Weitsicht zu fehlen, um die verheerenden humanitären Folgen der Klimakrise zu erkennen. Für die FFF-Aktivist/-innen bedeutet das vor allem eins: weitermachen. Nicht klein beigeben, so frus­trierend die Situation auch sein mag.


Sechs Forderungen zur Erreichung von 1,5°C
Um die Klimaziele des Pariser Abkommens von 2015 einzuhalten, fordern die Aktivisten in Deutschland die Erreichung der sogenannten „Netto-Null“ bis zum Jahr 2035. Das Ziel ist dann erreicht, wenn in der Bundesrepublik nur noch so viel CO2 emittiert wird, wie auch wieder gebunden werden kann, zum Beispiel durch Aufforstung. Die Bundesregierung arbeitet allerdings nur auf eine CO2-Neutralität bis zum Jahr 2050 hin. „Viel zu spät“, so der einhellige Konsens bei den Aktivist/-innen, die von etwa 30.000 Scientists for Future alleine in Deutschland unterstützt werden.

Um den Ausstoß von Treibhausgasen schnell drastisch zu reduzieren, nimmt FFF besonders den Energiesektor ins Visier. Die Förderung und Verbrennung von Braunkohle als einem der größten Klima-Killer der heutigen Zeit muss schnellstmöglich, bundesweit bis spätestens 2030, Geschichte sein. Der sogenannte Kohlekompromiss, der einen Ausstieg bis zum Jahr 2038 beinhaltet, verharmlose die Brisanz der Situation. Die FFF-Aktivisten mahnten die Bundesregierung im April 2019 an, mindestens ein Viertel der Kohlekraft schon bis Ende 2019 abzuschalten. Dieser Forderung kam die Regierung, wie zu erwarten war, nicht nach. Im Gegenteil: Im Mai 2020 ging das neue Steinkohlekraftwerk Datteln IV ans Netz, das unter anderem Züge der Deutschen Bahn mit Strom versorgt. Ein zynisches Signal in einer Zeit, in der Klima- und Umweltschutz so entscheidende Herausforderungen sind wie nie zuvor. Und nicht zu vergessen: Braunkohleförderung wie beispielsweise im Rheinischen Revier Nordrhein-Westfalens kostet nicht nur einen großen Teil unseres CO2-Budgets, sondern zerstört die Heimat unzähliger Anwohner/-innen aus dem Tagebaugebiet.

Ambitioniert, aber umsetzbar
Bis 2035 sollen erneuerbare Energien so stark gefördert werden, dass sie 100 Prozent des Energiebedarfs Deutschlands decken können. So würden teure und ökologisch verheerende Ankäufe elek­trischer Energie aus dem Ausland vermieden und die Braunkohle im Inland überflüssig. Dass eine hundertprozentig regenerative Energieversorgung möglich ist, bestätigen die Scientists for Future. Sie sagen: Die Forderungen der Jugend sind ambitioniert, ihre Umsetzung jedoch dringend notwendig und möglich.

Doch auf die lange Bank soll der Klimaschutz nicht geschoben werden. Der im April 2019 veröffentlichte Forderungskatalog beinhaltet auch den sofortigen Stopp für alle Subventionen, die fossilen Energieträgern zugutekommen. Der Bund erhöhte die Pendlerpauschale dennoch im vergangenen Jahr – de facto eine fossile Subvention, die nur dadurch nötig wird, dass der öffentliche Personennahverkehr unzuverlässig, schlecht ausgebaut und nicht ausreichend getaktet ist.

Dienstreise auf Kosten der Enkel
Ein zentrales Element hin zu einer klimaschonenden Nation ist für die FFF-Aktivisten eine CO2-Steuer, eine verkürzte Formulierung für „Treibhausgassteuer“, die auf den Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA) basiert. Demnach kostet eine heute emittierte Tonne CO2 die zukünftigen Generationen einen Betrag von 180 Euro, beispielsweise zur Kompensation gesundheitlicher Folgeschäden. Jedes billige T-Shirt, jeder Liter Öl, jede Flugreise verursacht weitaus höhere Kosten, als die Gesellschaft heute zu zahlen bereit ist.

Zurzeit treffen die daraus entstehenden ökologischen Katastrophen insbesondere jene Menschen, die im Globalen Süden leben. Jedoch wird es nicht allzu lange dauern, bis auch die Bevölkerung in Mitteleuropa von den Folgen der Klimakrise betroffen sein wird. Dass der Klimarisikoindex Deutschland im Jahr 2019 auf dem dritten Platz der am stärksten von Extremwetterereignissen betroffenen Nationen verortet, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch bevorsteht.


„Unite behind the science“



Eines möchten die jungen Aktivist/-innen um jeden Preis vermeiden: die Abwälzung klimapolitischer Maßnahmen auf den ärmeren Teil der Bevölkerung. Ein Steuersystem, in dem nur die Ärmeren auf PKW, Urlaub oder sonstigen Konsum verzichten müssen, ist sozial ungerecht und spielt die Verantwortung der Besserverdienenden herunter. Denn im Kern zeigen die Zahlen: Je mehr Geld ein Mensch verdient, desto mehr Konsummöglichkeiten kommen ihm zu. Die CO2-Bilanz fällt also entsprechend schlechter aus, die Verantwortung ist größer. Jetzt bei denen anzusetzen, die durch unattraktiven und teuren ÖPNV auf ein Auto angewiesen sind, ist fehlgeleitet und fördert soziale Spaltung.

Deshalb bringt die FFF-Bewegung Möglichkeiten ins Spiel, wie eine CO2-Steuer sozial gerecht umgesetzt werden kann. Die sogenannte abgewandelte „Klimadividende“ ist eine davon. Die CO2-Steuer zahlen alle Konsumenten in gleicher Höhe, ein fester Prozentsatz des Gesamtvolumens der CO2-Steuereinnahmen wird jedoch in einer „Pro-Kopf-Pauschale“ zurückerstattet. Unabhängig von der gezahlten Steuersumme (die Reichen zahlen durch erhöhte Konsummöglichkeiten naturgemäß mehr) erhalten also alle Menschen den gleichen Betrag zurück. Schlechter Verdienende können so unter Umständen sogar ein Plus durch die CO2-Steuer verzeichnen, Gutverdienende hingegen einen verhältnismäßig starken Verlust. Somit wäre nicht nur etwas für den Klimaschutz getan, auch die Schere zwischen Arm und Reich würde kleiner. Wichtig dabei: Nicht die vollständige Steuersumme muss an den Endverbraucher zurückgezahlt werden. Ein vorher festzulegender Prozentsatz kann für klimaschonende Inves­titionen verwendet werden – den Ausbau des ÖPNV beispielsweise.

Warum der „Schulstreik“ ein Plädoyer für Bildung ist
Die Politik hat die Forderungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwar registriert, macht aber keine Anstalten, die Jugendbewegung und die Wissenschaft ernst zu nehmen – obwohl es um die Lebensgrundlage der jetzigen und aller folgenden Generationen geht. Zur Stärkung von Wissenschaft und politischem Engagement haben Aktivisten in zahlreichen der inzwischen 700 Ortsgruppen in Deutschland verschiedene Arten von Bildungsformaten entwickelt. Dies hat einen unschätzbaren Wert für die Politisierung der Jugend. Selbstorganisierte Präsenzseminare, teils direkt im Anschluss an Demonstrationen mit tausenden Teilnehmenden, ohne die organisatorische Unterstützung Erwachsener haben schon jetzt unzählige junge Menschen erreicht.

Durch niedrigschwelliges skillsharing, zum Beispiel zu Öffentlichkeitsarbeit, Videoschnitt oder dem Aufbau von Demonstrationstechnik, ist der Informationsfluss in der Bewegung gesichert, und alle Aktivist/-innen nehmen persönliche Fähigkeiten aus dem Aktivismus mit. Das schweißt zusammen. Inhaltliche Seminare, zum Beispiel zur Verkehrswende, der Implementation von 100 Prozent erneuerbaren Energien, sozialverträglichen CO2-Steuermodellen oder alternativen Wirtschaftskonzepten bieten Austauschmöglichkeiten, die in dieser Form wohl kaum eine reguläre Schule bieten kann.

Der Schulstreik, mit dem Greta Thunberg im August 2018 die FFF-Bewegung initiierte, kann daher nicht als Bildungsignoranz gewertet werden, sondern im Gegenteil: Der unermüdliche ehrenamtliche Einsatz tausender Aktivist/-innen macht Bildung möglich, die staatlich niemals organisiert werden könnte. Und das ist viel wert.

Konsum bedeutet Verantwortung
Der FFF-Bewegung geht es um zweierlei. Alle müssen sich bewusster werden, was den eigenen Konsum und die eigene Lebensweise angeht. Hierfür müssen Informationen einfach formuliert und ohne großen Aufwand zugänglich sein. Allerdings ist das nicht genug, denn die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Handeln muss die Politik schaffen. Auch gelebter Klimaschutz ist ein Privileg, das vor allem Besserverdienenden zukommt. Wenn die Flugreise nur einen Bruchteil des Bahntickets für die gleiche Strecke kostet, ist es Geringverdienern nicht möglich, die klimaschützende Variante zu wählen. An dieser Stelle betont die Bewegung immer wieder, dass es beim Klimaschutz ganz wesentlich um Klimagerechtigkeit geht. Denn am Ende ist die Politik dafür verantwortlich, sozialverträgliche Reformen zu formulieren, die für jedermann umsetzbar sind.

Basisdemokratie mit Stärken und Schwächen
Innerhalb kürzester Zeit haben die FFF-Aktivist/-innen eine Struktur geschaffen, die alltägliche Abläufe innerhalb der Bewegung regelt und den Kompromiss zwischen größtmöglicher Partizipation des Einzelnen und möglichst agilem Arbeiten zu bewahren versucht. Einfach ist dieser Spagat nicht. Und ebenso schwierig ist es, den Überblick über die bewegungsinternen Abläufe zu behalten.

Wenn in der Bewegung eine Idee aufkommt – sei es ein Projekt oder ein inhaltlicher Forderungskata­­log –, dann geschieht das häufig in einer der über 700 Ortsgruppen (OG). Bei bundesweiter Relevanz wird das Anliegen in der wöchentlichen „Delegierten-Telefonkonferenz“ besprochen, in der sich jeden Sonntag Sprecher/-innen aus zahlreichen Ortsgruppen austauschen. Die Delegierten sind, im Gegensatz zu parteipolitischen Vertreter/-innen auf Parteitagen oder ähnlichem, nicht dazu bemächtigt, weitreichende Entscheidungen für ihre Ortsgruppen zu treffen. Basisdemokratie und Partizipation bilden das Fundament von FFF. Wenn das Anliegen also in der Telefonkonferenz besprochen wurde, gibt es verschiedene Möglichkeiten, weiterzuverfahren. In einigen Fällen wird die Thematik einer bereits bestehenden Arbeitsgruppe (AG) zugeordnet, manchmal muss eine neue AG oder sogar eine Taskforce (TF) gebildet werden. Welche Befugnisse welches Gremium hat, ist im internen Strukturpapier genauer beschrieben.

Sowohl die Legitimierung neuer Arbeitsgruppen als auch die Absegnung des erarbeiteten Endproduktes – zum Beispiel die Veröffentlichung einer Stellungnahme, die Nutzung von Finanzmitteln oder die Durchführung eines Projektes – bedürfen der Zustimmung der Ortsgruppen. Das bedeutet: Jede Idee wird in alle 700 Ortsgruppen getragen, im Idealfall diskutiert, abgestimmt und dann auf der Bundesebene durch organisierende Gremien wieder zusammengeführt. Das kann, auch in finanziellen Fragen, manchmal herausfordernd und langwierig sein. Und trotz immer wieder auftretender Schwierigkeiten, die bei Initiativen solcher Größenordnung durchaus vorkommen müssen, hat Fridays for Future es über einen langen Zeitraum geschafft, ein ernstzunehmender Akteur auf der politischen Bühne zu werden.

Veränderungen brauchen Druck
Ob FFF weiterhin solch eine große Rolle im politischen Alltag spielen wird wie bisher, entscheidet sich im Anschluss an die Corona-Krise. Die wirtschaftlichen Folgen werden verheerend sein – und doch ermöglicht die Situation einen Neuanfang. Einen gerechteren, nachhaltigeren Neuanfang. Einen Neuanfang, der die Menschen im Globalen Süden weiter in den Vordergrund rückt und der Gesellschaft bewusst macht, dass politische Veränderungen nicht von ungefähr kommen. Corona oder nicht, immer brauchen sie den Druck der Gesellschaft, die Partizipation der Massen, das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Solidarität. Und nicht zuletzt Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen.

Zitation:
Samlidis, Luca (2020). Fridays for Future. Forderungen, Strukturen und die Re-Politisierung der Jugend, in: Journal für politische Bildung 3/2020, 70-73.

Der Autor

Luca Samlidis studiert in Bonn Interkulturelle Kommunikationswissenschaften, Politik und Soziologie. Seit einigen Jahren arbeitet er als freier Journalist und Moderator. Als Aktivist bei Fridays for Future organisiert er Teile der Pressearbeit und wirkt an der Planung und Durchführung bundesweiter Großaktionen mit.

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