„Die sind wie wir?“

Die relative Besserstellung von Ukrainer*innen gegenüber anderen Geflüchteten war und ist Gegenstand von Kritik. Der zugrunde liegende Diskurs, ukrainische Geflüchtete seien „wie wir“ ist aber prekär und die vermeintliche Gleichheit widerrufbar. Die Flucht aus der Ukraine fördert so Widersprüche der deutschen Migrationsgesellschaft zu Tage, während sie gleichzeitig daran erinnert, wie stark postsowjetische und osteuropäische Migrant*innen bereits in Deutschland präsent sind.


Im April 2022 veröffentlichte das vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzierte Satire-Projekt Browser Ballett (früher bekannt als Bohemian Browser Ballett) ein Video mit dem Titel „Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge“. Es zeigt eine stereotyp mit blondem Haar, Pelzkragen und Rollkoffer dargestellte ukrainische Geflüchtete, die von deutschen Flüchtlingshelfer*innen mit offenen Armen empfangen (aber auch zum Objekt sexueller Begierde degradiert) wird, während ein syrischer Flüchtling aus Aleppo und ein dunkelhäutiger Student aus Kyiv von der Flüchtlingsunterkunft abgewiesen werden. Um keinen Zweifel zu lassen, warum hier verschiedene Geflüchtete unterschiedlich behandelt werden, heißt es schon zu Beginn des Clips zur Titelmelodie der RTL-Vorabendserie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“: „Ich seh‘ Deine Haut, sehe gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge …“

In satirischer Überspitzung bringt das Video einen kritischen Diskurs auf den Punkt, der sich in den ersten Wochen und Monaten der Flucht­bewegung aus der Ukraine in Folge des russischen Angriffskriegs etablierte: Ukrainische Geflüchtete würden besser behandelt als aus dem Land fliehende Studierende aus dem Globalen Süden, aber auch besser als Geflüchtete aus muslimisch geprägten Ländern wir Syrien und Afghanistan. „Die sind wie wir“, lassen die Macher des Videos einen Flüchtlingshelfer sagen, der den Eingang zum Ankunftszentrum bewacht.

Ungleichbehandlung Geflüchteter


Trotz der wohl guten Intention des Browser Balletts, die Ungleichbehandlung von verschiedenen Geflüchteten anzuprangern, gibt es an dem Clip einiges zu kritisieren. Neben der stereotypen Darstellung der Ukrainerin ist es vor allem die Unterstellung, dass ausgerechnet die in der Flüchtlingsarbeit aktiven Menschen Geflüchtete aufgrund von Herkunft und Hautfarbe diskriminierten. Dabei fiel unter den Tisch, dass es bereits während der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 eine enorme zivilgesellschaftliche Mobilisierung zur Unterstützung der Geflüchteten gab, für die eigens der Begriff „Willkommenskultur“ geschaffen wurde. Ziel der Solidarität waren damals vor allem Geflüchtete aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Es waren damals und heute dieselben Menschen, die diese Solidarität praktizieren. Ausgerechnet sie als Rassist*innen anzuprangern, statt über (migrations-)politische Strukturen zu reden, die real existierende Diskriminierungen…

Weiterlesen mit JOURNAL+

Lesen Sie diesen und alle weiteren Beiträge aus dem Journal für politische Bildung im günstigen Abonnement.
Mit Ihrem Abonnement erhalten Sie die vier gedruckten Journal-Ausgaben im Jahr sowie vollen Zugriff auf alle Journal+ Beiträge des Online-Angebots.
Jetzt abonnieren
Sie haben das Journal für politische Bildung bereits abonniert?
Jetzt anmelden

Der Autor

apl. Prof. Dr. Jannis Panagiotidis ist seit 2020 wissenschaftlicher Leiter des Forschungszentrums für die Geschichte von Transformationen (RECET) an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die postsowjetische Migration und die Geschichte und Gegenwart des antiosteuro­päischen Rassismus.

Ein Beitrag aus