Das Politische am Verhältnis von Mensch und Tier

Volkmar Wolters, Stephan M. Hübner, Karl Felix Trüller, Heike Ließmann, Judith Kösters (Hg.): Mensch und Tier. Begleitbuch zum hr-iNFO Funkkolleg. Frankfurt/M. (Wochenschau Verlag) 2021, 216 S., 24,90€ – auch als PDF.


Das Verhältnis von Mensch und Tier fristet derzeit in der schulischen und außerschulischen politischen Bildung noch das Dasein eines Mauerblümchens. Umso erfreulicher ist es zu bewerten, dass nun im Wochenschau Verlag das Begleitbuch zum hr-iNFO Funkkolleg ‚Mensch und Tier‘ vorliegt. Denn dieser Band bietet auch der interessierten Laiin wie dem Laien Zugänge zu dieser auf vielfältige Weise mit dem Politischen verknüpften Thematik. Dazu dient insbesondere die aktuelle Thematik der Biodiversitätskrise als roter Faden, eine Krise, die inzwischen gleichfalls für den Menschen eine existentielle Dimension erreicht hat. 

Der Band umfasst 20 Beiträge zum Mensch-Tier-Verhältnis und reicht von der Vermenschlichung tierischer Helden, der Frage, weshalb der Mensch kein Tier sein möchte über den Menschen und seine Haus- und Nutztiere, Lieblingsmenschen auf vier Pfoten, Tieren als Krankheitsüberträger und in der Medizin bis hin zur Stadt als Lebensraum der Tiere, die Entwicklungsarbeit gegen den Artenschwund und zu den Fragen, weshalb Tierschutz kein Artenschutz sein muss und was Kinder wirklich über Tiere lernen sollten.

Grundlegend für das heutige Verhältnis des Menschen zu anderen Tieren ist dessen Auffassung von seiner Höherstellung. Dabei scheint vielfach aus dem Blick geraten zu sein, dass wir selbst tierlicher Abstammung sind. Dieser Thematik widmet sich die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich in ihrem Beitrag „Abschied von den Affen? Warum der Mensch kein Tier sein will“. Sie bezieht sich dabei auf den Wissenschaftshistoriker Thomas Junker, der sich mit der Geschichte der Biowissenschaften beschäftigt und zu der Feststellung gelangt, dass die Evolution von vielen Menschen immer wieder hinterfragt werde und als Begründung hierfür anführt: „Möglicherweise, weil der Mensch ein Tier ist, das kein Tier sein will“ (22). Aus dem Mensch-Tier-Dualismus resultiere die Annahme, so der Philosoph der Biowissenschaften Eckart Voland, „dass Menschen und Tiere kategorisch anders sind. […] Und ohne moralische Diskriminierung der ‚Mitgeschöpfe‘, die Abwertung ihres Leidens und des Wertes ihres Lebens, wäre zumindest der ‚westliche Lebensstil‘ des heutigen Menschen unmöglich“ (29). Vor diesem Hintergrund lässt Dagmar Röhrlich den Philosophen Wolfgang Welsch resümieren: „Wir sind kognitiv unglaublich weit. Technisch haben wir absolute Macht. Aber wir sind moralisch retardiert. Moralisch sind wir eigentlich in der Steinzeit stehengeblieben. Wir wüssten, was gemacht werden muss, und tun es nicht. Diese Kluft zwischen den kognitiven und den moralischen Fähigkeiten, glaube ich, ist das größte Problem unserer Zeit“ (30 f.).

Mit einer aktuellen Problematik des Mensch-Tier-Verhältnisses, die uns wohl leider auch prospektiv vor Herausforderungen stellen wird, setzt sich Jens Bochers, Redakteur des Hess. Rundfunks, in seinem Beitrag „Corona und das wilde Tier. Tiere als Krankheitsüberträger“ auseinander, indem er sich mit Zoonosen beschäftigt: Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden – ob durch Bakterien, Pilze, Parasiten oder Viren: „Der AIDS-Erreger HIV kam von Schimpansen. Das MERS-Virus von Dromedaren. SARS-CoV-1 und 2 wahrscheinlich von Fledermäusen. Dass solche Viren übertragen werden, ist umso wahrscheinlicher, je enger Menschen und nichtmenschliche Tiere zusammenkommen“ (96). Gerade das immer tiefere Vordringen des Menschen in die Lebensräume von Tieren macht nach Bochers – neben der Praxis von Wildtiermärkten – Zoonosen wahrscheinlicher. Bochers gelangt deshalb zu dem nüchternen Schluss: „Zoonosen dürften, angesichts der massiven Eingriffe in Ökosysteme und angesichts der dadurch zunehmenden Nähe von Mensch und Tier in Zukunft eher zu- als abnehmen“ (101).

Die Biodiversität findet in vielen Beiträgen des Bandes Erwähnung, explizit gehen darauf Stefan Ehlert in „Kampf dem Schwarzmarkt. Entwicklungsarbeit gegen den Artenschwund“, Angelika Fey in „Bartgeier und blaue Aras. ‚Flaggschiffe‘ für erfolgreichen Artenschutz“ sowie Juliane Orth in „Zwei Worte, ein Inhalt? Warum Tierschutz kein Artenschutz sein muss“ ein. Stefan Ehlert, freier Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks, stellt bei der Bekämpfung der Wilderei und des Schwarzmarktes mit geschützten Tieren und Tierteilen die politische Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit heraus und verweist in diesem Kontext insbesondere auf das Agieren der KfW-Entwicklungsbank: „Was ist zu tun gegen Wilderei und den illegalen Handel mit den Körperteilen geschützter Tiere? Was zunächst klingt wie eine Jobbeschreibung nur für Ranger, Polizei und Zoll, geht in Wirklichkeit weit darüber hinaus. Wer nur Schutzgebiete und Tiere in den Blick nimmt, hat schon verloren, sagt Nils Meyer, zuständig für Biodiversität bei der KfW-Entwicklungsbank. Für die KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, hat er den Fünfländerpark KaZa im südlichen Afrika mit aus dem Boden gestampft, ein Park, fast so groß wie Frankreich. Nils Meyer weiß also aus der Praxis, wovon er spricht. Die Politik hat offenbar verstanden, dass Handlungsdruck besteht. Die Mittel für den internationalen Naturschutz hätten sich verzehnfacht in zehn Jahren“ (166). Allerdings sei nach wie vor „ein schwacher Staat und Korruption“ das größte Problem im Kampf gegen Wilderei und den Handel mit geschützten Tieren und Tierteilen, so die ehemalige WWF-Direktorin in Mozambique, Anabela Rodrigues (168).

Juliane Orth, Redakteurin beim Hessischen Rundfunk, thematisiert im letzten Beitrag des Bandes insbesondere das Recht und die Bestimmungen des Tierschutzes. Dabei seien die rechtlichen Grundlagen für den Tierschutz in Deutschland weniger das Problem, sondern deren Umsetzung. So konstatiert die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin ein „Vollzugsdefizit“ aufgrund fehlenden Personals: „Es wurde halt sehr viel gespart im öffentlichen Bereich. Die Veterinärämter und die Tiere hatten und haben das mitzutragen. Denn wenn Sie niemanden haben, der rausgeht und die Missstände sieht oder wenn Sie niemanden haben, der das Ganze verschriftlicht und eine Verwaltungsverfügung aus den Dingen macht oder eine Strafanzeige, dann haben Sie keinen Vollzug. Und dann brauchen wir Gesetze nicht. Also, es darf aus meinem Verständnis heraus zwischen Gesetzen, wo wir um jedes Wort ringen, und dem eigentlichen Vollzug nicht so eine große Lücke sein“ (189). Gerade bei der Haltung von Nutztieren, so Juliane Orth, würde „oft und teils systematisch gegen den Tierschutz verstoßen – selbst auf der Grundlage des Rechts“ (190). Allerdings, so ihr Resümee, entscheiden nicht zuletzt „auch wir Verbraucher mit unserem Konsumverhalten, wie Tiere gehalten werden und welchen Schutz sie dabei genießen“(190 f.).

Der Band leistet insgesamt einen Beitrag dazu, dass wir Leserinnen und Leser unsere vielfältigen Verhältnisse zu anderen Tieren stärker in den Blick nehmen, unser alltägliches Verhalten ihnen gegenüber reflektieren und vielleicht auch ändern. Diese Reflektion der Mensch-Tier-Beziehung wäre auch stärker in der schulischen wie außerschulischen politischen Bildungsarbeit vonnöten, wozu das Begleitbuch zum hr-iNFO Funkkolleg einen sehr guten Einstieg und facettenreiche Anregungen bietet (für Zusatzmaterialen und Audios: www.funkkolleg-menschundtier.de).

Der Rezensent

Dr. Ingo Juchler, Professor für Politische Bildung an der Universität Postdam

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