Auf dem Weg zum Exekutiv- und Expertenstaat?

2020 war das Jahr der politischen Krisen- und Problemkumulation. Die Zeit zuvor war in westlichen Demokratien geprägt durch das Aufkommen rechtspopulistischer und -radikaler Kräfte, die sich als Gegner der Idee der liberal-pluralistischen Demokratie gerieren. Der demokratische Konsens ist dadurch brüchiger geworden. Auf der anderen Seite verdeutlichten weltweite Bewegungen wie Black Lives Matter oder Fridays For Future, welche augenscheinlichen Defizite den politischen Output liberaler Demokratien kennzeichnen, etwa die anhaltende Ungleichbehandlung von Menschen oder der drohende ökologische Kollaps. Zudem sind die Brandherde der Weltpolitik im multipolaren Zeitalter expansionsfreudiger Diktaturen wie China und Russland kaum noch kontrollierbar. In diese Lage platzte eine Pandemie, die Staaten zur drastischen Einschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit und zur massiven finanziellen Stützung des Gesundheitswesens sowie des Wirtschaftssektors zwang. Das Überleben wurde 2020 zum Kerngeschäft.


Solche Konstellationen werden gerne als Stunde der Regierung angesehen. In Deutschland machte man das 2020 häufig an gestiegenen Umfragewerten der CDU/CSU fest. Kritisiert wird diese angebliche Exekutivdominanz nicht nur von zumeist irrlichternden „Corona-Demonstranten“ mit oft zweifelhaften Primärabsichten, sondern auch von etablierten Akteuren, so etwa in einem Essay gegen die Lockdown-Politik, das sechs Prominente um den Philosophen Julian Nida-Rümelin (vgl. Kekulé/Nida-Rümelin/Palmer u. a. 2020) verfassten. Auf der anderen Seite gibt es aber eine schon vor der Corona-Krise laut vernehmbare Strömung, die expertokratische und regierungszentrierte Modelle des Entscheidens auch unabhängig vom Eintritt eines Krisenereignisses propagiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Zukunft der liberalen Demokratie in einem Regierungsmodell der Exekutiv- und Expertendominanz liegt und, falls man eine solche Präferenz nicht teilt, welche demokratischen Mechanismen die Demokratie davor bewahren, dem umgekehrten Konzept einer anarchisch-fatalistischen Gesellschaftsordnung mit exorbitanten Sterberaten, vor allem unter den Älteren, anheimzufallen.

Dazu werden im Folgenden zunächst expertokratische und exekutivdominante Konzeptionen vorgestellt und kritisiert. Daran schließt sich eine Darstellung der aktuellen, sich freiheitsliebend gebenden Gegenbewegung an, bevor schließlich die Potenziale der liberal-pluralistischen Demokratie offengelegt werden. Das zentrale Argument lautet, dass die Gegenmodelle zur liberalen Demokratie gerade in der Pandemiezeit erhebliche Nachteile aufweisen. Allerdings müssen verschiedene parlamentarische und pluralistische Grundlagen beachtet werden, was in Deutschland diesmal etwas besser gelang als bei der Migrationskrise 2015. Vor allem der vielkritisierte Föderalismus hat sich 2020 eher bewährt. Darüber hinaus kann auch Hannah Arendt einen wichtigen Hinweis geben.

Modelle der Exekutivdominanz und Expertokratie
Schon Platon plädierte für die Philosophenherrschaft und einen damit verbundenen „starken Staat“, denn, so sein Argument, wem würde man ein Schiff anvertrauen, einem weisen Kapitän oder einer Meute von zweifelhaft gebildeten Leichtmatrosen. Einer von Platons neueren Apologeten, der amerikanische Politikwissenschaftler Jason Brennan, argumentiert in seinem gleichnamigen Buch ebenfalls „Gegen Demokratie“. Seines Erachtens sollte die Demokratie durch eine „Form von Epistokratie“ ersetzt werden, außerdem hätten „die Partizipation und die politischen Freiheitsrechte […] keinen großen instrumentellen oder immanenten Wert“. Deshalb sollten „weniger Bürger das Recht zur politischen Beteiligung haben“ (Brennan 2017: 43 f.).

Dass es sich bei der Fundamentalkritik der liberalen Demokratie keineswegs um eine randständige Außenseitermeinung handelt, zeigen zwei andere relevante Veröffentlichungen. Die beiden bekannten US-amerikanischen Rechtswissenschaftler Eric A. Posner und Adrian Vermeule (2014) sprechen sich in dem Buch „Die entfesselte Exekutive“ dafür aus, die Gewaltenteilung abzuschaffen. Regierungen sollten, um effektiv handeln zu können, von Verwaltungsexperten beraten und lediglich von der öffentlichen Meinung sowie – ab und an – durch Wahlen kontrolliert werden. Gesetzlichen Beschränkungen des Regierungshandelns stehen die Autoren vor allem für den Fall von Krisenzeiten skeptisch gegenüber, wobei sie unumwunden der Diktaturlehre Carl Schmitts folgen. Der belgische Historiker David van Reybrouck (2016) wiederum wendet sich in seinem gleichnamigen Buch gleich ganz „Gegen Wahlen“. Sie seien aristokratisch, während Losverfahren eine wahre Demokratie auszeichnen, so sein Hauptargument.


Im ständigen Ausnahmezustand?



Die drei skizzierten Ansätze sind natürlich unterschiedlich. Van Reybrouck will eine Demokratisierung der Demokratie, ist also gegen dezisionistische Modelle, während Brennan und Posner/Vermeule der Bürgerschaft nichts zutrauen, sondern die Entscheidungsgewalt in die Hände der Exekutive oder der Experten geben wollen. In einem sind sich die Autoren aber einig: Ihnen zufolge versagen die hergebrachten Modelle der liberalen, repräsentativen und gewaltenteiligen Demokratie. Vor allem intermediäre Institutionen – also Parteien, gewählte Parlamente und Verbände – spielen in den genannten Konzepten keine große Rolle. Es geht eher darum, wer die Experten sind, die Entscheidungen treffen sollten: plebiszitär bestimmte Dezisionisten mit Verwaltungsapparat (Posner/Vermeule), die Gebildeten (Brennan) oder der statistische Querschnitt der Bevölkerung (van Reybrouck). Es ist bezeichnend, dass gerade der letzte Vorschlag, dem man aufgrund der angestrebten Diskussionsprozesse zwischen verschiedenen sich gegenseitig kontrollierenden Gremien noch Demokratiekompatibilität attestieren kann, im Rahmen der Corona-Krise kaum debattiert wurde. Van Reybroucks System strahlt eher Behäbigkeit aus – ein Kritikpunkt, mit dem auch das praktische Regierungshandeln in liberalen Demokratien belegt wurde.

Die Probleme expertenbasierter und exekutivdominanter Modelle werden hier deutlich: Sie gehen davon aus, dass Experten und Regierungen die Wirkungsweisen ihrer wissenschaftlich induzierten Maßnahmen exakt bestimmen können. Diese technokratische Herangehensweise erweist sich in Situationen unvollkommenen Wissens als unrealistisch. Außer in wenigen Grenzfällen ist dies in der Politik mangels hellseherischer Fähigkeiten aber immer der Fall. Die reine Outputlegitimation „guten Regierens“ ist folglich eine Illusion – eine undemokratische dazu. Ohne wechselseitige Kontrolle keine demokratische Politik und somit auch keine Zukunft der liberalen Demokratie. Brennan und Posner/Vermeule sind im Ergebnis Fürsprecher von Konzeptionen, die eher im imaginierten Feld des Autoritäts- und Diktaturdreiecks zwischen Ungarn, China und Russ­land beheimatet sind.

Der angeblich „Demokratische Widerstand“
Als krasses Gegenmodell zur Experten- und/oder Regierungsherrschaft wurden in der Corona-Krise Stimmen laut, die hinter jeder staatlichen Maßnahme einen großen Unterdrückungsplan sahen. Hier taten sich neben Verschwörungstheoretikern auch einige bekannte Intellektuelle hervor. Der Bezug auf Freiheitsrechte war dabei oft oberflächlicher Natur, denn im Kern geht es diesen Menschen meist um die Propagierung ihrer eigenen Ideologie. Man konnte sich auf sogenannten „Corona-Demonstrationen“ in einer illustren Querfront-Antikoalition mit viel Aufmerksamkeit zusammenfinden, wobei den Beteiligten die häufig rechtsextremistischen Nebenleute offensichtlich egal bzw. genehm waren. Hier fand ein von „Alternativmedien“ angeleitetes Spektrum wieder zusammen, welches schon im Jahr 2014 auf sogenannten „Friedensmahnwachen“ zu beobachten war, sich im Rahmen der Flüchtlingskrise aber auseinanderdividiert hatte, wobei der rechtsradikale Teil in der AfD aufging (vgl. dazu Linden 2020).

Die verschiedenen Pole dieser, im Ergebnis oft ebenfalls gegen die liberale Demokratie gerichteten, Gegenbewegung werden u. a. von zwei eigentlich höchst unterschiedlichen Autoren repräsentiert. Russell (Rusty) Reno ist der Herausgeber der religiös-politischen amerikanischen Zeitschrift First Things. Darin argumentierte er, nur Gott könne über Leben und Tod entscheiden, weshalb die Anti-Corona-Politiken einen dämonischen Charakter besäßen (vgl. 2020). Renos vermeintlicher Fatalismus ist instrumentell intendiert, denn es geht ihm explizit um die Überwindung der offenen Gesellschaft und um die Rückbesinnung auf die Nation, die traditionelle Familie, die Religion und, sofern sie in seinem Sinne handelt, die starke politische Führung (vgl. 2019).


Ordnung ständigen Wandels: Demokratie in der Dauerkrise



Der bekannte italienische Philosoph Giorgio Agamben (2020) wiederum sieht die Corona-Politik als Sinnbild für den Überwachungsstaat, der eine Pandemie erfinde, um die Menschen zu wehrlos kontrollierten Objekten in einem ständigen Ausnahmezustand zu machen. Als Mitherausgeber der Flugschrift „Demokratischer Widerstand“ war Agamben entscheidend an der Entstehung der Corona-Proteste in Deutschland beteiligt. Die Theorie vom ständigen Ausnahmezustand verfolgt er schon seit langem, so dass die Pandemie gelegen kam. Auch die AfD unterstützte die Corona-Demonstrationen nicht aus Angst um die Freiheit, sondern um ihre rechtsradikal-völkische Widerstands­ideologie von der angeblich notwendigen Revolution gegen die herrschende Klasse und vom „Widerstand“ gegen das System zu propagieren.

Kurzum: Die Corona-Protestbewegung hat keine geschlossene Vorstellung einer angemessenen Zukunft, sondern changiert zwischen destruktiver Scheinanalytik, instrumentalisierter Sorge, zumeist unreflektiertem Fundamentalwiderstand und völkischer Agenda. Was die Menschen eint, ist die Skepsis (bzw. Ablehnung) gegenüber der liberalen Demokratie und ihrer Realität. Mit van Reybrouck würde man von postdemokratischen Zuständen sprechen, die durch die Dominanz des Wahlmodus und die damit einhergehende Entfremdung der Bürger*innen von der Demokratie entstanden sind.

Die Zukunft des liberalen Pluralismus
Diese Postdemokratie-These, die es in unterschiedlichsten Schattierungen gibt, überzeugt jedoch nicht, denn angesichts der tatsächlich vorgenommenen Einschnitte in das gesellschaftliche Leben und der mit der Pandemie einhergehenden Unsicherheit wären Apathie und die Abwesenheit von Protesten ebenso Krisenzeichen, wie die oft kruden und antipluralistischen Begleitideologien einer heterogenen Protestbewegung Krisenzeichen sind. Als Ordnung ständigen Wandels ist die liberale Demokratie gerade zur Dauerkrise prädestiniert. Entscheidend ist, ob ihre Modi und Institutionen fähig sind, diese zurzeit zugespitzt auftretenden Herausforderungen zu bestehen, ohne die Grund­idee durch den Rückfall in autoritäre Muster (wie von Posner, Vermeule und Brennan vertreten) zu verraten oder der anarchischen oder sonstigen Ideologisierung und Radikalpolarisierung anheimzufallen.

In diesem Zusammenhang gibt vor allem die scheinbare Behäbigkeit eine gewisse Hoffnung und Orientierung. Die repräsentative Demokratie ist darauf angewiesen, dass demokratische politische Einstellungen, Werthaltungen und Lösungsalternativen auf offener Bühne manifestiert und Konflikte auf eben dieser Bühne der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Dafür sind vor allem Parlamente und Parteien zuständig, denen das in der Flüchtlingskrise 2015 nicht ausreichend gelang. Es erfolgte nämlich eine einseitige Zuspitzung auf die Figur Angela Merkels, die ihre (m.E. in vielen Aspekten richtige) Politik zudem primär im Fernsehstudio verkündete. Fälschlicherweise entstand so das Bild der „Flüchtlingskanzlerin“, obwohl sich Merkel in den Jahren zuvor nicht als Vertreterin der Rechte von Geflüchteten hervorgetan hatte, sondern auch in diesem Politikfeld eher ökonomischen und macht­erhaltenden Maximen gefolgt war (vgl. Linden 2014). In der Pandemiezeit vertrat und vertritt Merkel das Paradigma des Gesundheitsschutzes hingegen mit tiefster innerer Überzeugung.

Der vielgescholtene Föderalismus schuf Akzeptanz
Für den relativen Erfolg der deutschen Corona-Politik ist jedoch nicht die Kanzlerin, sondern vor allem der spezifische Mechanismus der Politikformulierung und -legitimation verantwortlich. Da die Hauptkritik an den Maßnahmen von einer antidemokratischen Anti-System-Partei kam und kommt (der AfD), lässt sich die fundamentale Ablehnung nur schwer im Parteiensystem reintegrieren. Die Funktion der offenen Diskussion über verschiedene Alternativen und Paradigmen erfüllte im Rahmen der Corona-Krise deshalb ausgerechnet der vielgescholtene Föderalismus (vgl. Behnke 2020). Während Zentralstaaten wie Frankreich in Krisenzeiten auf ein Machtzentrum hin ausgerichtet sind, konnte Deutschland von der Vielzahl an föderalen Kompetenzverflechtungen im Rahmen des Infek­tions­schutzes profitieren. Zum einen konnten Maß­nahmen partiell getestet, verworfen und verbessert werden. Darüber hinaus entspann sich jedoch auch eine Diskussion zwischen verschiedenen Akteuren (insbesondere Ministerpräsident*innen) mit unter­schiedlichen Herangehensweisen. Diese intensive öffentliche Debatte mag von Eigeninteressen geprägt gewesen sein. Sie führte aber im Ergebnis zu einem gesamtgesellschaftlichen politischen Prozess des gemeinsamen Urteilens, der Akzeptanz für die Grundzüge der Maßnahmen schuf und gleichzeitig, im Vergleich zu den rigiden Politiken anderer Länder, Freiheitsrechte bewahrte. Eine Ausgangssperre wäre unter solchen Bedingungen ebenso wenig möglich gewesen wie eine Politik der Ignoranz gegenüber der Pandemie. Gewaltenteilung und die rege Diskussion zwischen verschiedenen Strängen von Politiker-, Experten- und Bevölkerungssicht haben sich in der Corona-Krise also bewährt. Ein technokratischer Ansatz hätte das nicht leisten können.

Die fundamentale Ablehnung der Corona-Politik fand und findet bislang nur bei einer lautstarken Minderheit Unterstützung. Umso wichtiger ist es, konstruktive Bedenken und konstruktiv-abweichende Meinungen offen in den politischen Prozess einzuspeisen. Doch wo liegt, über die Anerkennung demokratischer Grundsätze hinaus, die Grenze zwischen konstruktiv und destruktiv? Welche Ansichten müssen in einem pluralistischen System, das keine absoluten Wahrheiten kennt, erörtert werden, um die demokratischen Teile einer Protestbewegung zu mäßigen und möglicherweise berechtigte Kritikpunkte aufzunehmen? Diese Frage ist natürlich schwer zu beantworten, aber Beobachtungen von Hannah Arendt können hier zumindest als Hilfestellung fungieren, auch in der Praxis politischer Bildung.

Einerseits ist es wichtig, den zumeist instrumentellen Charakter einer fundamentalen populistisch-radikalen Widerstandsrhetorik offenzulegen. Das Gefasel von der absoluten Volksherrschaft gründet schließlich auf der Idee der Identität von Herrschenden und Beherrschten, die letztlich nur bei einem monolithisch gedachten „Volk“ funktionieren könnte. Der Antipluralismus und die Diktaturlehre eines Carl Schmitt resultieren zwangsläufig aus einem solchen Einheitsmythos. Außerdem, und hier kommt Arendt jetzt direkt ins Spiel, gilt es, gegen die postfaktische Vorstellungswelt der heutigen Diktaturapologeten (von Trump über Putin bis hin zu Corona-Verschwörungstheoretikern) ein empirisches Fundament zu verteidigen. Für die politische Bildung handelt es sich um eine zentrale Aufgabe, politischen Pluralismus auf der Basis geteilten Wissens möglich und integrativ nutzbar zu machen. Hannah Arendt betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von „Tatsachenwahrheiten“. Zwar kennt die Politik keine umfassend „richtigen“ und „wahren“ Lösungen. Aber das Fundament einer Debatte muss geteiltes Wissen sein. Über die Lockdown-Politik kann man erst angemessen mit Gegnern diskutieren, wenn gemeinsam anerkannt wird, dass SARS-CoV-2 hochansteckend ist, vor allem für ältere und vorerkrankte Menschen ein erhebliches Risiko darstellt und auch für Jüngere sehr gefährlich sein kann.

Das Geschäft der Gegner der liberalen Demokratie besteht demgegenüber darin, „Tatsachen in Meinungen aufzulösen beziehungsweise den Unterschied zwischen beiden zu verwischen“ (Arendt 1969: 337). Diese Postfaktizität, mit der Trump sich mittels notorischer Lügerei zum besten Präsidenten kürt, Putin die Annexion der Krim als demokratischen Akt darstellt, Rechtspopulisten den Kontakt zu Extremisten leugnen, der polnische Staat vorgibt, die Rechte von Homosexuellen zu schützen, und Corona wahlweise als leichte Grippe oder ausgedachte Epidemie dargestellt wird, ist der Feind der liberalen Demokratie, da jede Diskussionsbasis eliminiert und die Gesellschaft zwangsläufig radikalpolitisiert wird.

Aufgabe der politischen Bildung muss es sein, extensive Diskussion auf der Basis stetig vergegenwärtigter Tatsachen zuzulassen. Politisch Handelnde sind wiederum aufgerufen, dann, wenn spätere Erkenntnisse einstmals propagierten Behauptungen entgegenstehen, offen Fehler einzugestehen. Die selbstkritische Aufarbeitung der Debatte um den mittlerweile verifizierten Wert von Schutzmasken stellt hier beispielsweise eine Bewährungsprobe dar. Nur durch diese offene Diskussion über mögliche Fehler kann sich die liberale Demokratie abheben von den offenen Lügnern, die zwar mit der Freiheit argumentieren, diese aber überwinden wollen. Die Zukunft der liberalen Demokratie liegt auch in Pandemiezeiten in ihrem Wesen: Pluralismus, Diskussion und Öffentlichkeit.


Literatur
Agamben, Giorgio (2020): Die Erfindung einer Epidemie. In: Demokratischer Widerstand, 17.04.2020, S. 6, https://tinyurl.com/y24b4ssn

Arendt, Hannah (1994) [1969]: Wahrheit und Politik. In: Dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übun­gen im politischen Denken I. München u. a., S. 327–370.

Behnke, Nathalie (2020): Föderalismus in der (Corona-)Krise? Föderale Funktionen, Kompetenzen und Entscheidungsprozesse. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 35–37, S. 9–15.

Brennan, Jason (2017): Gegen Demokratie. Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen. Berlin.

Linden, Markus (2020): Zwischen alternativer Sicht und Verschwörungstheorie – Entwicklungstenden-zen und Argumentationsmuster digitaler „Alternativmedien“ in Deutschland. In: Stumpf, Sören/Römer, David (Hg.): Verschwörungstheorien im Diskurs, Weinheim u. a., S. 303–331.

Linden, Markus (2014): Einschluss und Ausschluss durch Repräsentation. Theorie und Empirie am Beispiel der deutschen Integrationspolitik. Baden-Baden.

Kekulé, Alexander/Nida-Rümelin, Julian/Palmer, Boris/Schmidt, Christoph M./Straubhaar, Thomas/Zeh, Juli (2020): Raus aus dem Lockdown – so rasch wie möglich. In: Spiegel-Online, 24.04.2020, https://tinyurl.com/ycl7ygme

Posner, Eric A./Vermeule, Adrian (2014): Die entfesselte Exekutive. Die Krise des liberalen Legalismus. Berlin.

Reno, Russell R. (2019): Return of the Strong Gods. Nationalism, Populism, and the Future of the West. Washington.

Reno, Russell R. (2020): Say “No” to Death’s Dominion. In: First Things, 23.03.2020, https://tinyurl.com/wry8v2p

Reybrouck, David van (2016): Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist. Göttingen.

Alle Internetquellen abgerufen am 15.11.2020.


Zitation:
Linden, Markus (2021). Auf dem Weg zum Exekutiv- und Expertenstaat? Corona und die Zukunft der liberalen Demokratie, in: Journal für politische Bildung 2/2021, 14-20, DOI https://doi.org/10.46499/1669.1804.

Der Autor

Dr. habil. Markus Linden ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier.

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